«Goodbye Europe!» titelte Blick nach der Wahl Donald Trumps zum US-Präsidenten. Die Prognose hat sich schneller bewahrheitet, als uns lieb ist. Der alte Kontinent wird von Washington an die Wand gespielt, sei es in der Wirtschaftspolitik, bei internationalen Organisationen bis hin zum Krieg in der Ukraine – Bürgenstockkonferenz, war da was?
Exemplarisch dafür steht die Brandrede von J. D. Vance am Freitag an der Münchner Sicherheitskonferenz. Trumps Vize verstieg sich zur Aussage, Europas grösstes Problem sei nicht Russland oder China, sondern die «Bedrohung von innen». Er sieht die Meinungsfreiheit gefährdet und empfiehlt den Deutschen, AfD zu wählen. Der Terrorangriff durch einen Afghanen in Bayerns Hauptstadt verlieh dem Schauspiel makabre Aktualität.
Europa, schlimmer als Russland und China? Man stelle sich vor, wie derselbe Herr Vance vor dem chinesischen Volkskongress steht und sagt: «Das grösste Problem für China ist nicht der Westen, sondern China mit seiner Einparteiendiktatur und der rigiden Überwachung seiner Bürger.» Oder wie Herr Vance der Duma in Moskau zuruft: «Das grösste Problem für Russland ist nicht die Nato, sondern Russland mit seinem kriegslüsternen Präsidenten und der Unterdrückung der Demokratie.»
Es ist keine mutige Wette, dass dies nie geschehen wird – was die Heuchelei der Trump-Administration entlarvt. Ihr geht es nicht um das Wohl diesseits des Atlantiks. US-Techkonzerne wie Alphabet, Apple, Amazon, Meta oder Microsoft schöpfen in Europa Abermilliarden Gewinne ab und zahlen ein Butterbrot an Steuern – was Trump noch nie gestört hat. Auch die «Free speech»-Rhetorik muss mit Vorsicht genossen werden. Soeben hat das Weisse Haus die Nachrichtenagentur AP ausgeschlossen. Und wo war Elon Musk, als Wikileaks-Gründer Julian Assange wegen Enthüllungen über das US-Militär jahrelang im britischen Gefängnis schmorte?
Am traurigsten steht es um das Ukraine-Dossier, in dem Trump den Wahnsinn beging, Putin noch vor Verhandlungsbeginn zu signalisieren, er könne das besetzte Territorium behalten. Ausbaden müssen dies die Europäer, derweil sich Amerika die dortigen Bodenschätze unter den Nagel reisst.
Man kann dem Zampano aus Washington dankbar sein, dass er seine brachiale Interessenpolitik so ungeschminkt zur Schau stellt. Umso bemitleidenswerter wirkt die Verwandlung kritischer Zeitgenossen aus der vorwiegend rechtskonservativen Ecke zu Trump-Apologeten, die ihr Idol noch immer für unseren Freund halten.
Als Schweizer Trump nachzulaufen, ist allerdings so zielführend, wie wenn ein Afroamerikaner zum Anhänger des Ku-Klux-Klan wird. Oder Rotkäppchen zur Wolfsschützerin. Goodbye Europe.