Union und SPD präsentieren endlich ihren Koalitionsvertrag
Bringt Friedrich Merz' Masterplan die AfD endgültig an die Macht?

Nach langem Ringen steht die neue schwarz-rote Koalition: Das Werk ist weniger ein Aufbruch als ein Balanceakt zwischen Sicherheitsversprechen und wirtschaftlicher Erneuerung. Hinter der neuen Einigkeit lauert der alte Streit – und der politische Druck von rechts.
Publiziert: 09.04.2025 um 18:58 Uhr
|
Aktualisiert: 12.04.2025 um 10:12 Uhr
Neue Regierung, alte Gesichter – mit einem Vertrag, der alles regeln will.
Foto: IMAGO/NurPhoto

Darum gehts

Die Zusammenfassung von Blick+-Artikeln ist unseren Nutzern mit Abo vorbehalten. Melde dich bitte an, falls du ein Abo hast.
BlickMitarbeiter06.JPG
Chiara SchlenzAusland-Redaktorin

Sie haben sich gestritten, gerungen – und sich schliesslich geeinigt. Union und SPD bilden eine neue Regierung, der Koalitionsvertrag steht! Nach zähen Verhandlungen, die sechs Wochen andauerten, liegt nun ein 146-seitiges Papier mit dem nüchternen Titel «Verantwortung für Deutschland» auf dem Tisch.

Eigentlich wollte man ein schlankes Dokument vorlegen, das nur die groben Linien zieht. Jetzt wurde alles ein bisschen komplizierter. Doch taugt der Masterplan für Deutschland etwas – oder ist die Patchwork-Koalition nur wieder ein Geschenk an die AfD?

Wer regiert hier eigentlich?

Trotz des sperrigen Inhalts zeigten sich die Beteiligten bei der Vorstellung betont optimistisch. Höchstwahrscheinlich-Bundeskanzler Friedrich Merz (69) spricht von einem Aufbruchsignal, einem Modernisierungsprogramm, von einer Koalition, die das Land wieder nach vorne bringen werde. Doch zwischen all den Schlagworten bleibt vieles im Technokratischen hängen: Steuersenkungen, Investitionsanreize, neue Grundsicherung – das klingt vertraut, beinahe nostalgisch. Als würde man Deutschland mit den Rezepten der frühen 2000er-Jahre fit machen wollen für die 2030er.

1/6
Friedrich Merz, Lars Klingbeil, Markus Söder und Saskia Esken präsentieren den Koalitionsvertrag – das Ergebnis wochenlanger Verhandlungen.
Foto: keystone-sda.ch

Auffällig ist auch die Ressortverteilung. Obwohl die SPD mit 16,4 Prozent ihr schlechtestes Bundestagswahlergebnis einfuhr, erhält sie immerhin sieben von insgesamt siebzehn Ministerien – darunter das mächtige Finanzministerium. Die Union sichert sich das Kanzleramt, das Auswärtige Amt sowie Wirtschaft, Gesundheit und Verkehr. Die CSU geht ebenfalls nicht leer aus: Sie bekommt das Innenministerium, ein aufgewertetes Bildungs- und Forschungsressort sowie das Landwirtschaftsministerium.

Die inhaltliche Handschrift des Vertrags trägt unverkennbar Züge eines Kompromisses, der mit heisser Nadel gestrickt wurde. Beim Thema Migration etwa kündigt Merz eine «Rückführungsoffensive» und eine Aussetzung des Familiennachzugs an – Töne, die eindeutig aus dem konservativen Lager stammen. Gleichzeitig wird betont, man wolle Deutschland zu einem «mutigen, zukunftsfähigen Land» machen, in dem «die Menschen Freude haben, zu arbeiten». SPD-Chef Lars Klingbeil bemühte sich sichtlich, dem Bündnis einen übergeordneten Sinn zu verleihen. Es sei gelungen, «rote Linien» in einen «roten Faden» zu verwandeln. Man habe Brücken gebaut, wo zuvor Gräben waren.

Ansonsten gab es inhaltlich wenig Überraschungen: Die Schuldenbremse wird «umgestaltet», und Regulierungen sollen abgebaut werden. Es soll massiv in die Aufrüstung investiert werden. Die Renten sollen auf demselben Niveau bleiben.

Die Mitte stärken oder die rechte Flanke öffnen?

Trotz des symbolischen Schulterschlusses bleibt vieles offen. Der Vertrag liefert keine klare Vision für die digitale Zukunft, keine Antworten auf die Bildungskrise, und in der Klimapolitik bleibt vieles diffus. Gerade hier liegt die Gefahr: Wer Modernisierung auf Steuerfragen reduziert und sonst keine Lösungen bietet, überlässt das Spielfeld jenen, die einfache Antworten geben – und das ist das Geschäftsmodell der AfD.

Friedrich Merz betont zwar, man müsse die gesellschaftliche Mitte stärken, um die Rechtspopulisten zurückzudrängen. Doch ob dieser Koalitionsvertrag dafür reicht, ist fraglich. Die Gefahr besteht, dass daraus ein Sprungbrett für den politischen Gegner wird – gerade wenn sich die Koalition in den kommenden Monaten in internen Scharmützeln verzettelt.

Am Ende steht ein Vertrag, der solide, durchdacht, aber wenig inspirierend wirkt. Keine Liebesheirat, eher ein kaltes Bündnis mit gemeinsamem Pflichtgefühl. Der nächste Prüfstein ist das Mitgliedervotum der SPD, das am 15. April startet. Danach wird sich zeigen, ob das Projekt Regierung Realität wird – und ob es mehr ist als nur ein Zweckbündnis auf Zeit.

Fehler gefunden? Jetzt melden
Was sagst du dazu?
Liebe Leserin, Lieber Leser
Der Kommentarbereich von Blick+-Artikeln ist unseren Nutzern mit Abo vorbehalten. Melde dich bitte an, falls du ein Abo hast. Noch kein Blick+-Abo? Finde unsere Angebote hier:
Hast du bereits ein Abo?