Der Fall «D-Day» und die fatalen Folgen für die FDP und Deutschland
Eine Partei in der Krise

Das Problem ist nicht, dass sich die FDP Gedanken zu einem Ampel-Aus machte. Das Problem sind die aufgedeckten Lügen der Parteistrategen. Damit demontiert sich die FDP einerseits selbst – andererseits führen sie zu noch mehr Enttäuschung bei den Deutschen. Eine Analyse.
Publiziert: 30.11.2024 um 00:01 Uhr
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Aktualisiert: 30.11.2024 um 10:45 Uhr
Die Partei von Christian Lindner demontiert sich selbst. Wieso haben seine Leute so lange gelogen?
Foto: keystone-sda.ch
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Chiara SchlenzAusland-Redaktorin

Die deutsche FDP steht mit dem Rücken zur Wand: Über Wochen hinweg leugnete die Partei die Existenz eines brisanten Dokuments zum geplanten Ausstieg aus der Regierungskoalition. Dann wagten Parteichef Christian Lindner (45) und seine Leute die Flucht nach vorne – und publizierten das verschwiegene Dokument gleich selbst. Doch damit bringen sie nicht nur die Partei, sondern das Vertrauen in die deutsche Politik ins Wanken.

Zuerst die grosse Lüge, dann die Flucht nach vorn

Der Aufschrei war gross: Vor zwei Wochen berichteten die «Süddeutsche Zeitung» und die «Zeit» in einer gemeinsamen Recherche, dass die FDP womöglich bereits Ende September beschloss, die Ampelkoalition (SPD, Grüne und FDP) zu verlassen. Seitdem soll die Partei bis zum endgültigen Ende am 6. November nur noch so getan haben, als sei sie an einer Lösung interessiert. Die Liberalen dementierten die Medienberichte vehement.

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Die deutsche FDP mit Christian Lindner an der Spitze steht mit dem Rücken zur Wand: Über Wochen hinweg leugnete die Partei die Existenz eines brisanten Dokuments zum geplanten Ausstieg aus der Regierungskoalition
Foto: keystone-sda.ch

Kurz darauf berichteten weitere deutsche Medien von einem internen Papier, in welchem die FDP den Ampel-Exit geplant haben soll. In diesem Dokument sollen auch Begriffe wie «D-Day» als Synonym für den Ampelausstieg und «offene Feldschlacht» – als letzter Schritt hin zum Wahlkampf – verwendet worden sein. Namhafte FDP-Politiker wie Generalsekretär Bijan Djir-Sarai (48), Bundesgeschäftsführer Carsten Reymann (44) und EU-Abgeordnete Marie-Agnes Strack-Zimmermann (66) taten auch diese Berichte als «Märchen» ab.

Am Donnerstag stellte sich dann heraus, dass die Liberalen selbst die Märchenerzähler waren: Das Planungsdokument «D-Day Ablaufszenarien und Massnahmen» existiert wirklich, federführend verfasst von Bundesgeschäftsführer Reymann. Wie das herauskam? Die FDP ging in die Offensive und publizierte das Dokument direkt selbst auf ihrer Website. Sie begründete die Veröffentlichung damit, «Transparenz herstellen zu wollen». Das Dokument wurde weiterhin als «Spielerei» abgetan, obwohl darin ein geplantes Statement durch Parteichef Lindner im Wortlaut vorzufinden ist. Darunter dieser Satz: «Wir Freie Demokraten wollen nicht, dass die Ampel das Land in Geiselhaft hält.» Ob Lindner diese Rede selbst verfasste oder davon wusste, bleibt bislang unklar.

Am Freitag dann die logische Konsequenz aus den Geschehnissen: Djir-Sarai und Reymann, die beide zu Existenz und Inhalt des Dokuments logen, gaben ihren Rücktritt bekannt – um die «Glaubwürdigkeit der Partei» zu schützen.

Die FDP spielt mit dem Vertrauen der Bevölkerung

Glaubwürdigkeit? Fehlanzeige. Dass die Liberalen die Ampelregierung seit langem nicht mehr wollten, war klar. Das Problem ist dabei nicht, dass die FDP aus einer Koalition aussteigen wollte, die sowieso zusammenzubrechen drohte. Denn besonders für die FDP ging es dabei auch um die eigene Existenz: Seit der Gründung der Ampelkoalition flogen die Liberalen aus vier Landesparlamenten, in landesweiten Umfragen schaffen sie es kaum über fünf Prozent Zustimmung. Dass man sich aus dieser misslichen Lage befreien möchte, ist verständlich.

Was schwerer zu verstehen ist: Die FDP log – und das offenbar mit voller Absicht. Parteichef Lindner behauptet zwar, man habe bis zuletzt an Kompromissen mit den Koalitionspartnern gearbeitet. Doch angesichts der Enthüllungen wirken diese Worte unglaubwürdig.

Die FDP steckt drei Monate vor den vorgezogenen Bundestagswahlen in einer Krise sondergleichen. Und mit ihren Spielchen demontiert sich die Partei nicht nur selbst – wie soll man Politikern noch vertrauen, nach einer solchen Aktion? Die FDP verstärkt mit ihrem Verhalten nicht nur das Misstrauen in die Politik, sondern treibt die Menschen weiter in die Politikverdrossenheit. Genau das macht diesen Vorgang so fatal.

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