Am Montag konnte die russische Flugabwehr im letzten Moment eine ukrainische Drohne abfangen, die Richtung Flugplatz Engels bei der russischen Stadt Saratow unterwegs war. Die Drohne erreichte ihr Ziel zwar nicht mehr, durch die frühzeitige Explosion gab es aber drei Tote.
Schon Anfang Dezember berichteten russische Quellen von drei ukrainischen Angriffen auf die russischen Flugplätze Djagilewo, Kursk und Engels. Dabei wurden Soldaten getötet und Langstreckenbomber beschädigt.
Die Flugplätze Engels und Djagilewo liegen je rund 500 Kilometer von der ukrainisch-russischen Grenze und rund 1000 Kilometer von der Kriegsfront entfernt. Seit Beginn des Krieges sind die Ukrainer mit Geschossen noch nie so weit ins russische Staatsgebiet vorgedrungen.
Halfen die USA?
In einer russischen Polit-Talkshow, die der «Spiegel» gesehen hat, glaubt der Militärexperte Juri Knutow (64), dass die USA mit ihren Aufklärungssatelliten Lücken im Luftabwehrsystem der Russen ausgespäht haben. Dank dieser Information habe die Ukraine die Route für die Drohnen planen können.
Experten vermuten, dass die Ukrainer umgerüstete Aufklärungsdrohnen des Typs Tupolew Tu-141 aus der Sowjetzeit verwenden. Diese rund 14 Meter langen und lauten Geräte weisen eine Reichweite von 1000 Kilometern auf. Es wird vermutet, dass sie mit Sprengsätzen und Satellitennavigation für Angriffsmissionen aufgerüstet worden sind. Die Ukraine hat sich zu den Angriffen bisher nicht geäussert.
«Ukraine hat das Recht, sich zu verteidigen»
Dominik Knill (64), früherer Militärbeobachter und Präsident der Schweizerischen Offiziersgesellschaft, sagt zu den ukrainischen Angriffen auf russischem Territorium: «Die Ukraine steht in einem zwischenstaatlichen Krieg mit Russland und hat das Recht, sich zu verteidigen, indem sie den Angreifer auf seinem Territorium bekämpft und zurückdrängt.» Allerdings müsse sie mit massiven Vergeltungsschlägen rechnen.
Spekuliert wird, dass die Ukraine die von den USA versprochenen Luftabwehrraketen Patriot auch für Angriffe auf russische Ziele am Boden verwenden könnte. Knill warnt: «Ein Einsatz amerikanischer Patriot-Abwehrraketen gegen Russland, egal ob von ukrainischem Gebiet abgefeuert oder ausserhalb, wäre für Russland ein Grund, den Krieg weiter eskalieren zu lassen.»
Dabei spiele es keine Rolle, ob es ein «Unfall» war, oder nicht. Knill zu Blick: «Die USA müssen sich dieser Verantwortung und den Konsequenzen bewusst sein, wenn sie die Einsatz- und Feuerhoheit der ukrainischen Armeeführung überlassen.»
Mehr zu den ukrainischen Angriffen in Russland
Russen spotten über eigene Abwehr
Wenn die Ukrainer weiterhin Ziele in Russland angriffen, dürfte Russland versucht sein, über seinem Territorium US-Spionage- und Aufklärungssatelliten abzuschiessen, meint der Präsident der Schweizerischen Offiziersgesellschaft. Ein Grund für die USA, in den Krieg einzugreifen? «Darauf gestützt den Bündnisfall auszurufen, wäre sehr gewagt, insbesondere, wenn es sich anfänglich nur um die privaten Starlink-Satelliten von Elon Musk handelt.»
Inzwischen wird die russische Luftabwehr in Russland zum Gespött. Nachdem sie beim Flugplatz Engels bei Saratow eine ukrainische Drohne abgeschossen hatte, fragte ein Angehöriger der Wagner-Gruppe laut dem «Institute for the Study of War» (ISW), warum die Luftabwehr Angriffe «auf wundersame Weise genau über dem Flugplatz» verhindere. Er wies zudem darauf hin, dass die ukrainische Drohne bis zum Flugplatz 500 Kilometer russisches Hoheitsgebiet überfliegen konnte.
Hardliner Igor Girkin (52), ehemaliger Oberst des russischen Geheimdienstes, beglückwünschte die russische Flugabwehr sarkastisch dazu, dass sie aktiviert wurde, bevor die Drohne den Flugplatz erreichen konnte. Weitere Militärblogger kritisierten die technischen Fähigkeiten der russischen Luftabwehr und zeigten sich besorgt über die Unfähigkeit der Behörden, kritische Infrastruktur zu schützen.
«Atomschlag unwahrscheinlich»
Bleibt noch die Frage, wie weit der russische Präsident Wladimir Putin (70) mit Vergeltungsschlägen gehen würde, nachdem er bei ukrainischen Angriffen auf Russland mit atomarer Vergeltung gedroht hatte.
Russland-Kenner Ulrich Schmid (57) von der Uni St. Gallen glaubt nicht an einen Atomschlag. «Mit der Annexion der vier ukrainischen Gebiete Anfang Oktober hat Putin das Argument, dass die Ukrainer bei Angriffen auf russisches Territorium eine rote Linie überschreiten, selbst entwertet», sagt er zu Blick.
Zudem hält er einen Atomangriff auf die Ukraine aus zwei Gründen für unwahrscheinlich: «Erstens wäre die russische Öffentlichkeit gegen einen solchen Schlag, zweitens würde Putin die ohnehin wackelnde Unterstützung Chinas verlieren.»