Während draussen die Temperaturen sinken, senkt Kremlchef Wladimir Putin (71) die Erwartungen an die russische Offensive in der Ukraine. Zwar wird der russische Präsident nicht müde, zu betonen, dass Kiews Gegenoffensive «komplett gescheitert» sei. Allerdings kommen auch seine Truppen nicht vom Fleck.
Ein Beispiel, das die Situation veranschaulicht: die Donezker Kleinstadt Awdijiwka im Osten des Landes. Sie wurde bereits im vergangenen Frühling weitgehend zerstört. Zuletzt haben Putins Truppen Awdijiwka intensiv beschossen. Die Versuche, die Ukrainer einzukesseln, scheiterten.
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Nach den jüngsten Misserfolgen dämpft jetzt auch Putin den Optimismus: Im staatlichen TV äusserte er sich zur Situation in der Ukraine – unter anderem sprach er über Awdijiwka. Seine Truppen führen dort eine «aktive Verteidigung» aus, so der Kremlchef. Sie würden zudem «ihre Positionen in einigen Gebieten verbessern».
Auffällig ist Putins zurückhaltende Formulierung. Zwei Tage zuvor sprach der russische UN-Botschafter Wassili Nebensja (61) noch von «aktiven Kampfhandlungen». Russische Militärblogger redeten gar von einer «Offensive». Doch Putin hält sich nun bedeckt. Gemäss der US-Denkfabrik Institute for the Study of War (ISW) ist dies ein Zeichen dafür, dass der Kreml «die Erwartungen an bedeutende russische Fortschritte senken will».
Mega-Angriff ohne Erfolg
In den vergangenen Tagen kam es zu schweren Gefechten rund um Awdijiwka. Die Russen starteten eine gewaltige Offensive. Sergii Tschechowski von der 59. Brigade sagte zur BBC: «Seit Beginn der Invasion hatten wir es nicht mehr mit einem so intensiven Angriff zu tun. Sie setzen mehrere Raketenwerfer, Artillerie, Panzer und Infanterie ein – alles zur gleichen Zeit.»
Doch der russische Mega-Angriff blieb ohne Erfolg. Seit Sonntag hat laut dem ISW das Tempo und die Intensität der russischen Angriffe nachgelassen. Die Denkfabrik resümiert: «Es ist unwahrscheinlich, dass die russischen Streitkräfte in naher Zukunft einen bedeutenden Durchbruch erzielen oder die ukrainischen Streitkräfte in Awdijiwka abschneiden werden.»
Militärblogger vereinbaren Stillschweigen
Dass Putins Truppen bei Awdijiwka scheitern, merken auch die russischen Militärbeobachter. Während Militärblogger sich zunächst optimistisch gaben, räumen sie nun ein, dass die russischen Streitkräfte nicht wie geplant vorankommen. Sie schreiben von «intensiven und zermürbenden» Kämpfen, wenn sie sich überhaupt noch äussern. Viele Blogger haben aufgehört, über Awdijiwka zu berichten. «Es besteht eine Vereinbarung, jeden Kommentar zu Awdijiwka zu unterbinden», schreibt ein Militärblogger auf Telegram.
Zugleich häufen sich wieder Meldungen über Probleme in der russischen Armee. So schreibt der russische Kommandant Alexander Chodakowski (50) am Sonntag, dass sich die russische Militärführung nicht für die Probleme auf Bataillonsebene interessiere. Sein Fazit ist knallhart: Die Infanterie an der Front sei unzureichend ausgerüstet, leide unter inkompetenten Kommandanten und die medizinische Versorgung lasse zu wünschen übrig. (bab)