Die ukrainische Gegenoffensive machte in den letzten Wochen langsam Fortschritte. Der russische Präsident Wladimir Putin (71) musste die Kriegstaktik erneut ändern. Jetzt versuchen die russischen Streitkräfte, die ukrainische Kleinstadt Awdijiwka einzukesseln. Russische und ukrainische Medien berichten von schwerem Beschuss auf die Stadt in der Oblast Donezk. «Seit über einem Jahr besteht die Gefahr, dass Awdijiwka besetzt wird, aber jetzt hat sich die Situation rapide verschlechtert», sagt Witali Barabesch, Leiter der Stadtverwaltung Awdijiwka, zu AFP.
Ein Grund: Die neusten Angriffe an der Front werden von Gleitbomben begleitet. Allein am Dienstag warfen Russen mit Jagdbombern mindestens zehn Gleitbomben auf Adijiwka ab, schreibt «Kyiv Post». Anfang Oktober waren ukrainische Posten an einem Tag gleich mit 40 Gleitbomben attackiert worden.
Auch die Stadt Berislaw am Dnepr, die von der Ukraine gehalten wird, wird derzeit angegriffen. Nach Angaben des ukrainischen Militärs fliegen die Russen täglich 20 bis 30 Mal mit modernen Jagdbombern wie der Su-34 entlang der Frontlinie und werfen die Bomben ab.
Kreml hat Produktion von Gleitbomben erhöht
Vor allem die russischen Gleitbomber UPAB-1500B und FAB-500 kommen dabei zum Einsatz. Diese verfügen über Flügel sowie Satellitenverbindung, sodass sie statt vom Himmel zu fallen bis zu 40 Kilometer zum Ziel gleiten. Mittlerweile hat der Kreml die Produktion hochgefahren. Eine Bombe hat die Kraft, ein mehrstöckiges Hochhaus dem Erdboden gleichzumachen.
Russland greift ukrainische Stellungen mit der Kombination von Jagdbombern und intelligenten Gleitbomben vermehrt aus der Luft an. Das ukrainische Militär hat kaum eine Chance, dem standzuhalten. Denn Kampfjets, mit denen die Ukraine die russischen Flieger abwehren könnte, fehlen. Am Montag erklärte Juri Ignat, Sprecher der ukrainischen Luftwaffe, dass die Ukraine über keine Mittel verfügt, die Gleitbomben-Angriffe abzuwehren.
Obwohl Dänemark und die Niederlande nach monatelangen Forderungen des ukrainischen Präsidenten Wolodimir Selenski (45) Lieferungen von F-16 Jets versprochen haben, sind diese noch nicht in der Ukraine angekommen.
Lage in Awdijiwka unklar
Dass die Ukraine über das amerikanische Patriotsystem verfügt, mit denen Jagdbomber wie die Su-34 abgewehrt werden können, nützt an der Front wenig. Es ist zu riskant, diese schwer beweglichen Luftabwehrsysteme dort zu platzieren, denn die Russen könnten dort leichter zerstören. Und das Flugabwehrgerät an der Front, etwa die Gepard-Panzer, verfügen über zu wenig Reichweite, um die Flieger, die ihre Gleitbomben in bis zu 50 Kilometer Entfernung ausklinken, zu bekämpfen.
Über die aktuelle Lage in Awdijiwka gibt es unterschiedliche Informationen. Der Generalstab der Streitkräfte der Ukraine gab am Dienstagabend bekannt, dass die Ukraine alle Angriffe abgewehrt habe und «der Verlust von Stellungen verhindert wurde». Der kremlfreundliche Telegramkanal Dwa Majora hingegen schreibt: «Die russische Armee führt den massivsten Artilleriebeschuss auf feindliche Stellungen in Awdijiwka durch. Das bedeutet nur eines: Es geht vorwärts.» Sollte Russland die Einkesselung und Eroberung von Awdijiwka gelingen, könnten sie versuchen, weiter Richtung Bachmut vorzurücken, das die Ukrainer diesen Frühling unter hohem Blutzoll zurückerobert haben.