Knapp 48 Stunden sind vergangen, seit in Magdeburg ein 50-jähriger Mann aus Saudi-Arabien das Unfassbare tat. Taleb A.* fuhr mit seinem SUV Vollgas in das Getümmel eines Weihnachtsmarktes. Die traurige Bilanz Stand Sonntagabend: Fünf Tote und über 200 Verletzte. 40 traf es schwer. Als Blick sich einen Eindruck von der Stadt macht, präsentiert sie sich düster.
Ein regungsloser Ort
Die Absperrungen rundum den Weihnachtsmarkt sind am Sonntagnachmittag weg, Bewohnerinnen und Bewohner streifen an den Orten vorbei, an denen sonst Glühwein getrunken oder Souvenirs verkauft werden. Jetzt herrscht hier Schweigen, nichts geht. Immer präsent: die Polizei. In Gruppen patrouillieren sie über das Gelände. Auch die Notfallseelsorge ist vor Ort. Die Männer und Frauen tragen entsprechende Uniformen und Aufschriften. Wer nicht mehr kann, wendet sich an sie.
Die Welt steht still in Magdeburg. Die Menschen, die zum Weihnachtsmarkt pilgern, kommen, um zu verstehen. Sie sind hier, um zu trauern. Zwischen den Ständen liegt vereinzelt noch immer Blut am Boden, die Fahrgeschäfte für die Kleinsten stehen regungslos da. Die stolze Statue des «Magdeburger Reiters» wirkt wie ein Mahnmal, ebenso das regungslose Riesenrad. Ein herzzerreissender Anblick, der auch Hartgesottenen die Tränen in die Augen treibt.
«Habe nur noch die Scheinwerfer gesehen»
Vor dem Universitätsklinikum in Magdeburg trifft Blick am Sonntag Mutter Conny (50), Tochter Anna (25) und Sohn Karl (6). Die Familie ist nicht komplett. «Den Papa hats erwischt gehabt», sagt Anna (25). Mit mehreren Brüchen liegt er jetzt im Spital.
Vater Dirk, Tochter Anna und Sohn Karl waren am Freitag zusammen am Weihnachtsmarkt in Magdeburg. «Ich habe nur noch die Scheinwerfer des Autos gesehen. Ich konnte mit meinem Bruder dann zur Seite. Papa hatte weniger Glück», sagt Anna, die in Brüssel studiert und zu Besuch bei der Familie in der Heimat war.
Die Mutter war an diesem Abend nicht dabei. «Ich zog mir eine Jacke über und bin losgerannt», sagt Conny. «Und dann lagen sie da. Links und rechts. Dort, wo der Idiot langgefahren ist», sagt die Mutter mit brüchiger Stimme und wendet sich an ihre Tochter: «Ich hoffe, du kommst jetzt trotzdem noch nach Hause zu Weihnachten!»
«Es geht mir nicht so gut»
Bei der Johanniskirche in Magdeburg, direkt gegenüber vom Weihnachtsmarkt, wächst das Blumenmeer unentwegt. Auch am Sonntag sind wieder Hunderte Menschen vor Ort. Per Zufall trifft Blick Oberbürgermeisterin Simone Borris (61, parteilos). Sie wirkt müde: «Insgesamt geht es mir mit der Situation nicht so gut. Es ist eine grosse Herausforderung für die Stadt, damit umzugehen.»
Einerseits wolle man der Bevölkerung Möglichkeiten bieten, weiter zu trauern – andererseits müsse man den Blick auch nach vorne richten und eine Perspektive schaffen, wie es weitergeht, erklärt Borris. Als Stadt wolle man jetzt daran arbeiten, dass irgendwann wieder einmal Normalität eintreten kann.
Borris: «Ich wünsche allen verletzten und betroffenen Personen, dass sie wieder genesen. Was mit der Seele und der Psyche passiert ist – es wird dauern, das zu verarbeiten. Ich hoffe, dass die Betroffenen allen Beistand kriegen werden, den sie benötigen.»
*Name bekannt