Auf einen Blick
- Amokfahrt auf Weihnachtsmarkt in Magdeburg. Täter war Saudi-Araber mit psychischen Problemen
- Kanzler Scholz besucht Tatort, wird ausgebuht. Stimmung in der Stadt gedrückt
- 5 Tote, 205 Verletzte, davon 41 schwer. 500 Rechtsextreme demonstrierten am Sonntag
Schon bei der Anfahrt nach Magdeburg merkt man, dass hier etwas nicht stimmt. In der Peripherie der Stadt mit 240'000 Einwohnern im Bundesland Sachsen-Anhalt zeigen die Hinweistafeln am Strassenrand gähnende Leere in den Parkhäusern an. Hunderte sind frei – an jedem anderen Samstag im Dezember wäre das nicht so. Der Grund: eine entsetzliche Amok-Fahrt mitten in der Innenstadt.
Am Freitagabend um 19.04 Uhr raste Taleb A. mit einem SUV plötzlich und ohne Vorwarnung mitten in die Menschenmassen, die sich an einem der schönsten Weihnachtsmärkte Deutschlands vergnügten.
Vor dem Täter wurde gewarnt
Taleb A. ist gemäss verschiedenen Quellen ein Mann aus Saudi-Arabien und seit 2006 in Deutschland. Er habe als Arzt im knapp 50 Kilometer weit entfernten Bernburg gearbeitet. A. sei islamkritisch gewesen, steht gemäss Äusserungen in den sozialen Medien und Interviews der AfD nah.
Zudem soll er unter psychischen Probleme gelitten haben. Die Deutschen Behörden sollen von den Saudis auf die potenzielle Gefährlichkeit des Mannes ins Bild gesetzt worden sein. Warum sie untätig blieben, müssen sie jetzt erklären.
«Man kann dort keinen Weihnachtsmarkt mehr abhalten»
Ronni Krug, Abteilungsleiter Personal, Bürgerservice und Ordnung bei der Stadt Magdeburg sagte an der Medienkonferenz am Samstagnachmittag, dass dieser Freitag als schwarzer Tag in die Geschichte der Stadt eingehen werde. Fünf Menschen sind tot, 205 weitere wurden verletzt, davon 41 schwer. «Man kann dort keinen Weihnachtsmarkt mehr abhalten.»
Durch die Gassen ziehen am Samstag teils Schaulustige, hauptsächlich aber Trauernde. Letztere erkennt man an einzelnen Blumen oder Sträussen in der Hand, sie schniefen und haben gerötete Augen. «Wir sind noch immer zu sprachlos», sagt eine junge Frau zu Blick genau dort, wo der Fahrer abbog und durch Männer, Frauen und Kinder in Weihnachtsstimmung pflügte.
«Am Boden lagen so viele Menschen!»
Einer, der das Chaos nach der Tat hautnah miterlebt hat, ist Jeton (37). «Ich habe jetzt noch Gänsehaut, wenn ich daran denke», sagt er. Jeton ist in Magdeburg aufgewachsen, wohnt jetzt in Singen, direkt an der Schweizer Grenze.
Er kam aus einer Seitengasse auf den Weihnachtsmarkt – und fand sich mitten im Chaos wieder. «Am Boden lagen so viele Menschen! Da versteht man die Welt von einem Moment auf den anderen nicht mehr. Man sieht es, aber man realisiert nicht, was gerade geschieht.»
Unverständnis und Wut
«Der Hass. Der pure Hass», sagt Andi (39) über den Todesfahrer und sein Motiv. Er wohnt in der Stadt und kann es nicht fassen, dass die Polizei zum Zeitpunkt der Tat nur an zwei Ecken präsent gewesen sei. «Warum es vor diesem Eingang keine Poller gab, verstehe ich auch nicht.» Gemäss Ronni Krug von der Stadt Magdeburg nutzte der Todesfahrer einen Flucht- und Rettungsweg, vor dem keine Barrikaden aufgestellt worden waren.
Andi ist, wie viele Magdeburgerinnen und Magdeburger, frustriert, verständnislos, geschockt. Und vor allen Dingen: wütend.
Spürbare Trauer vor der Kirche
In unmittelbarer Nähe des Weihnachtsmarktes befindet sich die Johanniskirche. Vor den Stufen des Gotteshauses liegt ein Meer von Blumen. Menschen weinen über die Verstorbenen, sie beten für die über 40 Schwerverletzten. An einen Baum gelehnt steht ein Mann in verdreckter Arbeiterkluft. Er hält eine Trompete in den Händen und spielt «Amazing Grace». Immer und immer wieder.
Die Stimmung ist derart tieftraurig, dass es greifbar wird. Eckhart Schwanhold (66), wie der Trompeter heisst, sagt zu Blick: «Als ich gehört habe, was da passiert ist, hat mich Wut gepackt.» In solchen Momenten vermöge die Trompete es, ihn zu beruhigen. «Darum bin ich hergekommen. Geteiltes Leid ist halbes Leid.»
«Furchtbare Tat»
Auf den Strassen von Magdeburg ist die Stimmung gedrückt – und von Blaulicht geprägt. Überall stehen sie, Kastenwagen, Polizisten in Vollmontur. Es dürfte – so morbide es klingt – aktuell der sicherste Ort Deutschlands sein. Der Weihnachtsmarkt ist auch am Samstagnachmittag, bald 24 Stunden nach der Tat noch komplett abgeriegelt.
Niemand kommt rein. Ausser natürlich der Kanzler. Als Blick eintraf, nahm Olaf Scholz (66) gerade einen Augenschein unter Ausschluss der Öffentlichkeit. «Was für eine furchtbare Tat ist das. Dort mit solcher Brutalität so viele Menschen zu verletzen und zu töten», sagte er danach vor den Medien.
Kanzler wird ausgebuht
Als er wieder aus dem Weihnachtsmarkt heraustrat, wurde er vereinzelt von Anwesenden ausgepfiffen und ausgebuht. «Verpiss dich!» und «Hau ab!» waren dabei noch die netteren Antipathiebekundungen.
Scholz' Ampelregierung dürfte nach diesem grässlichen Anschlag auf den Weihnachtsmarkt in Magdeburg weiteren Schaden nehmen. Sofern das überhaupt noch möglich ist.
Denn der ARD-Deutschlandtrend, der am Samstag veröffentlicht wurde, zeigt: 75 Prozent der Deutschen halten Olaf Scholz für keinen guten Kanzler. Der in Teilen rechtsextremistischen Partei AfD dürfte das in die Hände spielen, denn eine deutlich ausländerfeindliche Stimmung auf der Strasse war in Magdeburg zu spüren. Am Samstagabend zogen über 500 Rechtsextreme zur Demo auf.