Trump inszeniert sich als Abschiebe-König
Wirklich mehr Abschiebungen – oder nur viel Lärm?

Die Trump-Administration macht Abschiebungen zum politischen Event. Mit täglichen Verhaftungszahlen und inszenierten Razzien schafft sie den Eindruck einer härteren Migrationspolitik, obwohl die tatsächlichen Zahlen vergleichbar mit früheren Regierungen sind.
Publiziert: 29.01.2025 um 21:10 Uhr
Donald Trump macht vorwärts bei den Abschiebungen – sagt er zumindest. Aber stimmt das auch?
Foto: AFP

Auf einen Blick

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Chiara SchlenzAusland-Redaktorin

Und täglich grüsst der Abschiebekönig: Unter US-Präsident Donald Trump (78) publiziert die Migrationsbehörde ICE jeden Tag neue Verhaftungszahlen – im Schnitt werden täglich 754 illegale Migranten festgenommen. Diese Verhaftungen werden auch direkt filmreif in Szene gesetzt: ICE-Beamte stürmen Häuser, Kameras halten das Geschehene für Tiktok und TV fest, und sogar Talkshow-Moderator «Dr. Phil» geht mit auf Razzia. 

Trump inszeniert eine Abschreckungskampagne, die nicht nur an den US-Grenzen, sondern vor allem auf den Bildschirmen wirkt. Seine Botschaft ist eindeutig: Dieser Präsident handelt. Trumps Anhänger feiern ihn auf X und «Truth Social» als härtesten Präsidenten in der Migrationspolitik. Doch stimmt das wirklich – oder ist alles bloss ein gut inszenierter Abschiebe-Bluff? Die Zahlen überraschen.

Härter – oder nur sichtbarer?

Die Inszenierung Trumps begann lange vor seinem erneuten Einzug ins Weisse Haus. Während des Wahlkampfs bezeichnete er die Migrationspolitik seines Vorgängers Joe Biden (82) regelmässig als «schwach und armselig». Dabei zeigen die Zahlen: Aktuell hält tatsächlich Biden den Rekord für die meisten jährlichen Verhaftungen und Abschiebungen. 

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Seit Donald Trump (78) am 20. Januar erneut ins Weisse Haus eingezogen ist, inszeniert er eine Abschreckungskampagne, die nicht nur an den US-Grenzen, sondern vor allem auf den Bildschirmen wirkt.
Foto: AFP

2023 verzeichnete das ICE unter Biden 170'570 Festnahmen – im Schnitt 467 pro Tag. Im Jahr 2018, Trumps bisherigem Rekordjahr für Festnahmen und Deportationen, verhaftete das ICE insgesamt 158'581 Personen – weniger als unter Biden. Ähnlich sieht es bei den Abschiebungen aus: Während Trumps höchster Wert im Jahr 2019 bei 267'000 Deportationen lag, erreichte Biden 2024 einen Zehnjahres-Höchststand mit 271'000 Abschiebungen.

Wie Trump Abschiebungen zum Spektakel macht

Die Unterschiede sind gering – trotzdem erhält Trump weitaus mehr Lob von Migrationskritikern als Biden oder Barack Obama (63), der 2014 sogar 316'000 Abschiebungen durchführte. Warum? Trumps Strategie unterscheidet sich in einem wesentlichen Punkt von seinen Vorgängern: Er macht aus einer ohnehin bestehenden Praxis einen politischen Event.

Ein Beispiel: Die neue Heimatschutzministerin Kristi Noem (53) liess sich in New York mit einer Tarnweste fotografieren, als sie eine Razzia begleitete. Ihr Kommentar: «Wir holen diese Verbrecher von unseren Strassen.» Diese Bilder dominieren konservative Nachrichtensender und soziale Medien – ungeachtet der Tatsache, dass viele der Festgenommenen keine Gewalttäter sind, sondern lediglich keinen gültigen Aufenthaltsstatus haben.

ICE-Agenten wurden angewiesen, bei Razzien «kamera-ready» zu sein – also ihre Uniformen so zu tragen, dass ihre Abzeichen und Waffen möglichst gut sichtbar sind. Und in Chicago durfte «Dr. Phil», ein Talkshow-Moderator mit Millionenpublikum, eine Abschiebeaktion live begleiten und die Szenen in seiner eigenen Show zeigen. Ein Festgenommener erkannte ihn und rief überrascht seinen Namen – ein Moment, der in sozialen Medien viral ging und die Vermischung von Entertainment und Politik auf die Spitze trieb.

Die Grenzen des Möglichen

Trotz der lautstarken Ankündigungen bleibt die Frage, ob Trumps gross angekündigte Massenabschiebung von bis zu elf Millionen Menschen realistisch ist. Experten weisen auf erhebliche logistische und rechtliche Hürden hin. Da sind die logistischen Probleme: ICE verfügt derzeit über nur 6000 Abschiebebeamte und 41'000 Haftplätze – viel zu wenig, um Millionen von Menschen abzuschieben. Gleichzeitig bräuchte die Behörde viel mehr Geld – eine solche Budgeterhöhung muss aber zuerst vom Kongress genehmigt werden. Und es könnte auch zu rechtlichen Problemen kommen: Viele Migranten haben laufende Asylverfahren oder Duldungen, die eine sofortige Abschiebung verhindern, wie «CBS News» schreibt.

Die grosse Abschiebewelle, die Trump propagiert, ist aktuell eher eine Verhaftungswelle. Doch auch wenn Trumps erste Wochen stark auf Spektakel setzen, könnte sein harter Kurs durchaus substanzieller werden. Der hohe Tagesdurchschnitt von über 754 Festnahmen seit dem 23. Januar zeigt, dass sich die Abschiebequote bereits erhöht hat. Sollte es Trump gelingen, ICE personell und finanziell massiv auszubauen, könnte er tatsächlich zu dem «Abschiebekönig» werden, als den er sich selbst inszeniert.

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