Solidarität mit Ukraine-Flüchtlingen
Erste Kantone sind bereits am Anschlag

Die Kantone suchen dringend nach Plätzen für Geflüchtete aus der Ukraine. Viele finden Aufnahme bei Gastfamilien – doch die sind manchmal überfordert.
Publiziert: 28.03.2022 um 08:46 Uhr
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Aktualisiert: 30.03.2022 um 09:23 Uhr
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Millionen fliehen aus der Ukraine – und immer mehr Geflüchtete kommen in die Schweiz, 500 bis 1000 pro Tag.
Foto: Keystone
Sven Zaugg

Millionen fliehen aus der Ukraine – und immer mehr Geflüchtete kommen in die Schweiz, 500 bis 1000 pro Tag. Bis Samstag hatten sich in den Bundesasylzentren 15'388 Personen registriert. Und im Frühsommer rechnen die Behörden mit einer Gesamtzahl von bis zu 60'000.

Die Behörden sind mehr als gefordert – vor allem bei der Unterbringung. In den Asylzentren des Bundes wurde die Bettenzahl zwar aufgestockt: Es sind nun 9000. Doch laut Schätzung des Staatssekretariats für Migration (SEM) braucht es weitere 2000 bis 3000 Plätze.

Vor allem Kantone und Gemeinden suchen angestrengt nach zusätzlichen Unterbringungsmöglichkeiten. Ausrangierte Altersheime, Hotels, Turnhallen, Zivilschutzanlagen, sogar Spitäler werden derzeit für die Ankunft der Geflüchteten vorbereitet. Hinzu kommen Zehntausende Haushalte, die Menschen aus der Ukraine aufnehmen möchten.

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Unterbringungsplätze werden zur Mangelware

Eine SonntagsBlick-Umfrage zeigt, wie unterschiedlich die Situation in den einzelnen Kantonen ist – manche stossen bereits an ihre Grenzen. Die Nidwaldner Regierung spricht von einem «Wettlauf gegen die Zeit», weil die Plätze knapp werden. 70 Geflüchtete konnten bislang untergebracht werden.

Im Kanton Genf, wo sich derzeit rund 482 Menschen aus der Ukraine aufhalten, könnten Unterbringungsplätze in den kommenden Wochen zur «Mangelware» werden, wie die Regierung auf Anfrage schreibt. Wie auch im Kanton Appenzell Ausserrhoden: Neben 50 Heimkindern sind bereits 170 Personen im Kinderdorf Pestalozzi untergebracht, weitere 170 Personen leben in privaten Gastfamilien.

Basel-Landschaft gibt derweil an, dass die Plätze mit rund 543 Kriegsflüchtlingen noch nicht ausgeschöpft wurden, man habe noch Spielraum. Der Kanton rechnet bis zum Frühsommer mit 2000 Personen. Auch in Graubünden und Solothurn reichen die Plätze bislang aus. Der Kanton Bern rechnet mit bis zu 30'000 Flüchtlingen in den kommenden Monaten, 2200 sind bereits registriert.

Wie unübersichtlich die Situation ist, zeigt sich im bevölkerungsreichsten Kanton der Schweiz: Zürich kann derzeit weder zur Anzahl noch zur Unterbringungssituation Angaben machen. «Insgesamt haben die Kantone in den letzten Tagen 7500 neue Plätze für Flüchtlinge aus der Ukraine geschaffen», sagt Gaby Szöllösy, Generalsekretärin der Konferenz der kantonalen Sozialdirektorinnen und Sozialdirektoren (SODK).

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Risse in der Solidarität

In beinahe allen Kantonen sind weit mehr als die Hälfte der Flüchtenden in privaten Haushalten untergekommen. Marcel Suter, Präsident der Vereinigung der Kantonalen Migrationsbehörden, sagt: «Wir sind über jedes private Angebot sehr froh.» Im Moment bieten 28'432 Haushalte und 570 Hotels in der Schweiz 104'984 Betten für Flüchtlinge aus der Ukraine an.

Der Grund dafür, dass die Kapazitäten in einzelnen Kantonen bereits ausgeschöpft sind, liegt in der Vergangenheit. Weil die Asylgesuchszahlen über die letzten Jahren stetig gesunken sind, haben Kantone zum Teil Liegenschaften für Asylsuchende veräussert, Mietverträge gekündigt und Personal abgebaut. «Das wird für einige Kantone nun zu einer Herausforderung», sagt Suter.

Derweil zeigen sich erste Risse in der Solidarität mit den ukrainischen Neuankömmlingen. Im Kanton Jura mussten ukrainische Flüchtlinge umplatziert werden, weil es zu Spannungen mit den Gastfamilien kam. Helfer seien sich häufig nicht bewusst, was auf sie zukomme, gibt Basel-Landschaft an. Im Kanton Luzern melden sich vermehrt Gastfamilien mit der Forderung, ukrainische Kriegsflüchtlinge «schnell in kantonale Strukturen» zurückzuführen.

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Zugleich unterstützten nur wenige Stände die Gastfamilien: Basel-Stadt etwa zahlt 250 Franken pro Haushalt. Die meisten Kantone geben an, eine Unterstützung stehe zwar zur Debatte, sei aber noch nicht «institutionalisiert». Teilweise entscheiden auch die Gemeinden über Zuwendungen. So wie in Zürich.

Eine finanzielle Entlastung für die kantonalen Behörden ist indessen in Konsultation: Am Freitag wurde bekannt, dass der Bund zusätzlich zur sogenannten Globalpauschale von 18'000 Franken pro Jahr und geflüchtete Person 3000 Franken für Sprachkurse zahlen will.

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