SMS-Einladung statt Zwang
So hat sich Portugal zum Impfmeister gemausert

Portugal gehört zur Weltspitze, was die Impfquote anbelangt. Das hat verschiedene Gründe. Einerseits war die Kampagne generalstabsmässig organisiert, auf der anderen Seite sitzt dem Land der Schock von vergangenem Unheil noch in den Knochen.
Publiziert: 20.09.2021 um 19:02 Uhr
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Marineoffizier Henrique de Gouveia e Melo (60) ist in Portugal für die Organisation der Impfkampagne verantwortlich.
Foto: AFP

Rund 81 Prozent der Bevölkerung in Portugal sind vollständig geimpft. Bis Ende September sollen es 85 Prozent sein. Bei der Risikogruppe der Menschen über 60 sind 99 Prozent vollständig geimpft. Selbst bei den den 25- bis 49-Jährigen sind es 87 Prozent. Portugal gehört neben Malta und Dänemark zu den Ländern mit der höchsten Impfquote in Europa. Auch weltweit ist das Land ganz vorne mit dabei. Wie hat das Land das geschafft?

In Portugal gibt es keine Impfpflicht – auch nicht für gewisse Berufsgruppen. Für Ungeimpfte gelten keine zusätzlichen Beschränkungen. Zwar gibt es auch in Portugal ein Corona-Zertifikat, dieses wird aber lockerer gehandhabt als in anderen Ländern. So müssen Restaurant-Besucher dieses nur bei dem hohen Andrang an Wochenenden oder Feiertagen vorweisen.

Zusätzliche Dosen aus anderen EU-Ländern nötig

Die Corona-Zahlen entwickeln sich gut. Nach der Welle vom Januar, als Portugal eines der am schwersten getroffenen Länder in Europa war, blieb die Welle vom Sommer deutlich flacher. Die Zahl der Neuinfektionen nimmt nachhaltig ab. Eine Maskenpflicht im Freien wurde unlängst abgeschafft.

Einer der Gründe dafür dürfte die generalstabsmässig organisierte Impfkampagne sein. Portugal impfte im Sommer so schnell, dass die Regierung zusätzliche Dosen aus anderen EU-Mitgliedsstaaten bezog, um die hohe Nachfrage zu befriedigen. Verantwortlich dafür: Marineoffizier Henrique de Gouveia e Melo (60). Der «Impf-Kapitän» ist stolz auf das Erreichte und sieht Portugal in einer Vorreiterrolle im Kampf gegen die Corona-Pandemie. «Wir haben die Gesellschaft wieder weit öffnen können und trotzdem fällt unser Infektionsgeschehen gerade deutlich ab.» Dank der hohen Impfquote habe das Virus kaum mehr Platz, sich in Portugal zu bewegen.

Behörden gingen auf jeden Einzelnen zu

In Portugal gingen die Behörden auf jeden Einzelnen zu: Alle Bürgerinnen und Bürger wurden telefonisch oder per SMS mit einem konkreten Terminvorschlag zur Impfung eingeladen. Zwar konnte man absagen, aber die meisten Portugiesen haben das als Dienstleistung angesehen und sind gerne hingegangen.

Die hohe Impfbereitschaft in Portugal hat auch historische Gründe. Einerseits sass vielen Menschen noch der Schrecken aufgrund der besonders verheerenden Welle vom Januar in den Knochen, andererseits können sich viele Portugiesen noch an die Masern-, Pocken- und Polio-Epidemien in den 1960er- und 1970er-Jahren erinnern. Portugal und Spanien – damals von Diktatoren regiert – begannen sehr spät mit dem Impfen, was Tausenden Kindern das Leben kostete. Schliesslich konnten die Impfungen die Epidemien jedoch beenden.

Gesundheitswesen geniesst hohes Ansehen

Francisco George, Präsident des portugiesischen Roten Kreuzes: «Durch das Impfen haben wir uns von sehr vielen Krankheiten befreien können. Wir hatten in Portugal zur Zeit der Salazar-Diktatur eine der höchsten Kindersterblichkeiten in Europa. Dank des Impfens haben wir jetzt eine der geringsten, auf dem Niveau von Japan.»

Das Gesundheitswesen geniesst in Portugal nicht zuletzt aus diesem Grund ein hohes Ansehen und ein hohes Mass an Vertrauen. Impfungen werden von der Bevölkerung traditionell als hilfreich und nützlich empfunden, viele betrachten sie sogar als Bürgerpflicht. In Umfragen zum Vertrauen in Impfungen liegt Portugal in der Regel europaweit an der Spitze, dicht gefolgt von Spanien. Laut einer aktuellen Eurobarometer-Umfrage stimmen 87 Prozent der Portugiesen zu oder eher zu, dass die Vorteile des Corona-Impfstoffs die Risiken überwiegen.

Engeres Familiengfüge

Impfverweigerer gibt es in dem Land nur sehr wenige. Schätzungen zufolge dürften sie nur zwei bis drei Prozent der Gesamtbevölkerung ausmachen. Demonstrationen gegen Corona-Massnahmen gibt es praktisch keine.

Die Skeptiker-Bewegungen in wohlhabenderen Ländern wie der Schweiz, Frankreich oder Deutschland werden von einigen Beobachtern als Folge einer Art Wohlstandsverwahrlosung betrachtet. Soziologen vermuten zudem, dass die engeren Familiengefüge in dem vergleichsweise armen Portugal dafür sorgen, dass sich auch Jüngere häufiger impfen lassen – diese würden oft länger bei ihren Eltern und Grosseltern leben und sich auch aus Rücksicht auf diese impfen lassen. (noo)

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