Die zweite Welle war noch nicht mal abgeklungen, als Portugal erneut unter Druck kam. Schulen und Universitäten waren gerade wieder geöffnet worden, als die britische Variante B.1.1.7 die Corona-Fallzahlen im Januar steil ansteigen liess.
Doch diesmal reagierte Portugal anders. Präsident Marcelo Rebelo de Sousa (72) verhängte den Ausnahmezustand. Am 15. Januar ging das kleine EU-Land (10,3 Millionen Einwohner) in den harten Lockdown. Die Schulen blieben (eingeschränkt) grösstenteils offen, doch ausser Lebensmittel-Einkäufen und Arztterminen war praktisch alles verboten, selbst Take-aways hatten geschlossen, Homeoffice war Pflicht, der Wohnbezirk durfte nicht verlassen werden.
Und daran sollte sich auch so schnell nichts ändern.
Der Lockdown brachte die Kehrtwende
In nur 33 Tagen reduzierte Portugal seine Fallzahlen um 98 Prozent: Vom Rekord-Wert von 16'432 Fällen am Tag (28. Januar) auf 394 Fälle am 1. März. Doch obwohl die Fallzahlen rasant fielen, wartete die Regierung mit den Lockerungen. Das Ziel: Die Zahlen praktisch auf den Boden zu drücken – und dort auch zu halten.
Und das gelang. Seit rund anderthalb Monaten ist Portugal in der Regel bei weniger als 5 Fällen pro 100'000 Einwohnern und Tag – die Fälle in der Schweiz sind im selben Zeitraum trotz Massnahmen gestiegen und aktuell knapp fünfmal so hoch. Am 26. April verzeichnete Portugal das erste Mal seit August 2020 keinen Corona-Todesfall.
«Es gibt in Portugal einzelne Zonen mit leicht erhöhtem Risiko, ganz wenige in denen man sofort reagieren muss. Hier wird dann zum Beispiel konsequent mit Antigen-Schnelltestkampagnen reagiert», schreibt der eHealth-Experte und Aktivist Thomas Pettinger, der im bayrischen Nürnberg (D) für eine ähnliche Strategie kämpft, auf Twitter. Den Unternehmer und Aktivisten begeistert die portugiesische Corona-Erfolgsgeschichte. Die Politik habe entschlossen gehandelt und auch Fehler eingestanden.
Portugal hielt sich stur an seinen Corona-Plan
«No Covid» wird so eine Niedriginzidenzstrategie auch genannt. In der Schweiz ist die Genfer Virologin Isabella Eckerle (41) die lauteste No-Covid-Verfechterin. Schon im Dezember forderte sie in einem Interview mit SonntagsBlick einen europaweiten Lockdown, um die Pandemie nachhaltig in den Griff zu bekommen.
Während andere europäische Länder im Frühjahr je nach Fallzahl-Lage und Impffortschritt über Massnahmen und Öffnungen diskutierten, hielt sich Portugal stur an einen vorab festgelegten Plan.
Erst am 15. März – zwei Monate nach Lockdown-Beginn – gab es in einem Grossteil der Regionen erste Lockerungen: Take-aways durften etwa wieder Essen und Getränke verkaufen, Parks wieder betreten werden, Buchhandlungen öffneten. Zu diesem Zeitpunkt waren die Fallzahlen in Portugal etwa dreimal so niedrig wie in der Schweiz.
Erst nach fast drei Monaten öffneten Museen und Terrassen wieder
In Europa setzten von Pandemie-Beginn an vor allem skandinavische Länder – ausser natürlich Schweden – auf No Covid. Dass aber ein Land wie Portugal im Januar die Komplett-Wende wagt, ist ungewöhnlich. Selbst Deutschland scheute sich lange, die Massnahmen wieder auf das Level des ersten Lockdowns zu bringen.
Doch Portugal hielt – offenbar traumatisiert von den hohen Fallzahlen und bis zu 904 Patienten mit Covid-19 gleichzeitig auf den Intensivstationen – durch. Das Land hat eine vergleichsweise alte Bevölkerung, das Gesundheitssystem gilt als schwach.
Erst Ostern brachte die Wende. Am 5. April öffneten etwa Museen, Schwimmbäder und Restaurant-Terrassen. Portugiesen durften ihren Wohnbezirk wieder ohne triftigen Grund verlassen. Allerdings blieben sie auch da vorsichtig: nur Gruppen mit vier Personen etwa waren auf den Terrassen erlaubt. Und zahlreiche Kommunen verzichteten wegen noch immer hoher Inzidenzen auf den Öffnungsschritt.
Auch das zeigt, was sich in Portugal in Sachen Pandemie-Bekämpfung geändert hat: «Keine Regierung kann überall sein und die Zusammenarbeit mit den Kommunen hat zunehmend an Bedeutung gewonnen», erklärte der ehemalige portugiesische Gesundheitsminister António Fernando Correia de Campos (78) im Januar in einem Interview.
Präsident will mit neuen Massnahmen nicht zögern
Am 19. April schliesslich gab es die dritte Lockerungs-Runde. So öffneten ein Vierteljahr (!) nach Lockdown-Beginn etwa Kinos, Einkaufszentren, Restaurants (mit Sperrzeiten) und draussen durften sich bis zu sechs Personen wieder zu gemeinsamen sportlichen Aktivitäten treffen.
Am Freitag endet der Ausnahmezustand nun – nach dreieinhalb Monaten. Klappt alles, dürfen sich die Portugiesen auf Lockerungsrunde Nummer 4 am kommenden Montag freuen. Dann soll die Sperrstunde für Restaurants und Cafés in den meisten Kommunen aufgehoben werden, Grossveranstaltungen sind – mit eingeschränkter Kapazität – draussen und drinnen wieder erlaubt.
Die Regierung ist stolz auf ihren Erfolg. Und will ihn auf keinen Fall gefährden.
«Ohne Ausnahmezustand müssen alle wesentlichen Massnahmen zur Verhinderung von Rückschlägen beibehalten oder ergriffen werden», stellte Präsident Marcelo Rebelo de Sousa klar. «Wenn nötig, werde ich nicht zögern, einen neuen Ausnahmezustand einzuleiten.» Und die Portugiesen wissen nur zu gut, was das bedeutet.