Taliban erobern die zweitgrösste Stadt Afghanistans
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USA schicken 3000 Soldaten:Taliban erobern die zweitgrösste Stadt Afghanistans

Sicherheitsexperte Markus Kaim zum Taliban-Vormarsch
«Der Westen hat sich aufs Falsche fokussiert»

Nach dem Abzug der westlichen Truppen fällt Afghanistan in sich zusammen. Die islamistischen Taliban erobern ohne auf grossen Widerstand zu treffen Stadt um Stadt. Wann fällt Kabul? Sicherheitsexperte Markus Kaim glaubt: schon bald!
Publiziert: 13.08.2021 um 00:47 Uhr
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Aktualisiert: 16.08.2021 um 07:44 Uhr
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Auch in Farah haben die Taliban die Macht an sich gerissen.
Foto: keystone-sda.ch
Interview Guido Felder

Die afghanische Regierung steht mit dem Rücken zur Wand. Die Taliban rücken im Schnellzugtempo vor, seit die USA und ihre Verbündeten nach 20 Jahren die Truppen abgezogen haben. Innert nur einer Woche haben die Islamisten 15 der 34 Provinzhauptstädte erobert. Nun nehmen sie die Hauptstadt Kabul ins Visier.

Gemäss dem ehemaligen deutschen Nato-General Egon Ramms (72) mangelt es den afghanischen, von den Amerikanern gut ausgerüsteten und trainierten Soldaten an Durchhaltevermögen und auch Einsatzwillen. US-Präsident Joe Biden (78) sagte: «Die Afghanen müssen nun selber um ihren Staat kämpfen. Aber sie müssen auch kämpfen wollen.»

Mehrere Länder, darunter Deutschland und die Niederlande, haben bis auf weiteres die Rückführung von Migranten nach Afghanistan ausgesetzt.

Der deutsche Sicherheitsexperte Markus Kaim (53) erklärt Blick, wie schnell die Taliban wie viel Macht übernehmen werden und warum der Rückzug der westlichen Truppen doch nicht ganz falsch war.

Blick: Herr Kaim, die Taliban stürmen Richtung Kabul. Wann werden sie die Hauptstadt erobert haben?
Markus Kaim:
Die militärische Dynamik der Taliban ist unerwartet gross. Ich schliesse daher nicht mehr aus, dass das noch dieses Jahr der Fall sein wird.

Wird es den Taliban gelingen, das ganze Land zu erobern?
Da bin ich mir nicht sicher. Es gibt neben der Zentralregierung auch andere Gegenkräfte wie die regionalen Warlords, die den Widerstand aufrechterhalten. Es könnte zu einer Umkehrsituation kommen: Bisher wurden weite Teile durch die Zentralregierung kontrolliert und einige wenige durch die aufständischen Taliban, nachher werden die Taliban das grösste Gebiet gegen die bisher überlegenen Kräfte dominieren.

Warum kommen die Taliban dermassen schnell vorwärts?
Der Westen hat sich aufs Falsche fokussiert, nämlich zu sehr auf die Ausbildung und Ausrüstung der afghanischen Armee. Nun muss man feststellen: Es fehlt an Loyalität dieser Kräfte gegenüber der Zentralregierung. Die Gründe: Sie betrachten sie als korrupt und nicht legitimiert. Zudem sind die Soldaten schlecht bezahlt.

Was sind die Folgen für die afghanische Zivilbevölkerung bei einer Machtübernahme durch die Taliban?
Ihre politische Vorstellung umfasst ein islamisches Emirat. Die ganzen Verdienste und politischen Entwicklungen der vergangenen 20 Jahre werden zurückgedreht – zum Beispiel in der Bildung, der Gleichberechtigung, der Medienfreiheit, der Rechtsstaatlichkeit. Die Frage ist nur, wie gross der Rückfall sein wird.

Wie stark werden die Frauen unter den islamistischen Taliban leiden?
Das ist nicht ganz klar. Es gibt schon heute von den Taliban kontrollierte Gebiete, wo Frauen auch am täglichen Leben teilnehmen und Mädchen die Schule besuchen können. In andern Gebieten allerdings sind ihre Rechte viel stärker beschnitten worden.

Soll der Westen die Taliban überhaupt als Gesprächspartner akzeptieren?
Vertreter der deutschen und der amerikanischen Regierung haben sie ja eben in Doha zu Friedensgesprächen getroffen. Der Westen setzt darauf, Einfluss zu nehmen, indem er den Taliban droht, sie nicht anzuerkennen oder Hilfsgelder zu streichen.

Muss man nun mit grossen Flüchtlingsströmen rechnen?
Absolut. Es sind schon rund 300’000 Afghanen unterwegs, allerdings zumeist noch im eigenen Land. Millionen weitere werden sich noch aufmachen, weil gegen 80 Prozent der Afghanen von westlichen Zuwendungen abhängig sind und diese versiegen werden. Zudem werden auch die humanitären Hilfswerke kaum mehr arbeiten können.

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Wann werden die Flüchtlinge in Europa ankommen?
Wann und wie viele überhaupt kommen werden, ist nicht klar. Es braucht dazu auch Schlepper und viel Geld.

Soll man Abschiebungen nach Afghanistan stoppen?
Politisch will ich mich nicht äussern. Aber das Argument, dass das Land für Abschiebungen sicher sei, zählt nun bestimmt nicht mehr.

War der Rückzug der Amerikaner, Deutschen und weiteren Verbündeten falsch?
Welches wäre denn die Option gewesen? Dass die Geduld mit den Afghanen zu Ende war, ist verständlich. Mit einem Durchwursteln mit den bisherigen Mitteln hätte man das Ziel wohl auch in Jahren nicht erreicht. Und auf eine Ausweitung des Einsatzes hatte im Westen auch niemand Appetit.

Die Amerikaner sind nun weg, wer springt in die Bresche?
Das Vakuum wird sofort von Russland und China gefüllt. Afghanistan liegt im Hinterhof dieser beiden Grossmächte, deren erstes Ziel es ist, dass die Instabilität innerhalb der afghanischen Grenzen bleibt und nicht in ihre Länder exportiert wird.

Akzeptieren Moskau und Peking die Taliban als neue Machthaber?
Solange die Taliban die Instabilität im eigenen Land halten, werden sie von Russland und China als dominante politische Kraft akzeptiert. China hat ja vor wenigen Tagen Taliban-Vertreter empfangen, weil es auch an Bodenschätzen und der Infrastruktur, etwas für den Bau der neuen Seidenstrasse, interessiert ist.

Was kann der Westen nach dem Rückzug noch machen?
Nicht mehr viel. Er kann Hilfsgelder stoppen und den Taliban die Anerkennung als Regierungsmacht verweigern. Damit trifft man aber auch die Zivilbevölkerung.

* Markus Kaim (53) ist Experte für internationale Sicherheitspolitik. Er ist Senior Fellow in der Forschungsgruppe Sicherheitspolitik der Stiftung Wissenschaft und Politik in Berlin, zudem ist er Lehrbeauftragter an der Uni Zürich.

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