Putin bedroht Europa, in den USA übernimmt der egozentrische Trump die Macht. Gleichzeitig stürzen die beiden Motoren Europas – Deutschland und jetzt auch Frankreich – in Regierungs- und Wirtschaftskrisen.
Wenn diese beiden Zugpferde hinken, lahmt ganz Europa. Daher ist die Lage alles andere als gemütlich. Umso mehr, als viele Leute in Europa die Gefahr unterschätzen.
Der jüngste Tiefschlag erfolgte am Mittwoch in Frankreich. Das Parlament hat der Regierung unter Premierminister Michel Barnier (73) das Vertrauen entzogen. Das heisst: Frankreichs neue Regierung ist nach drei Monaten schon wieder weg – ausser Präsident Emmanuel Macron (46) lässt die Minister bis zu einer neuen Lösung als flügellahme Verwalter im Amt.
Frankreich vor Wirtschaftskrise
Frankreich – nach Deutschland und Grossbritannien der drittgrösste Wirtschaftsmotor Europas – droht wegen verzögerter politischer Entscheidungen und Finanzhilfen der Absturz. So sagt Anne-Sophie Alsif (40), Chefökonomin der Pariser Unternehmensberatung BDO, gegenüber der «Deutschen Welle»: «Wenn jetzt die Regierung fällt und es kein spezifisches Budget für 2025 gibt, könnten wir direkt in eine Wirtschaftskrise schlittern. Es wäre eine Katastrophe.»
Deutschland ist Frankreich schon einen Schritt Richtung Abgrund voraus. Auf politischer Ebene hat die Regierung versagt, was zum Bruch der Ampel-Koalition führte und in Neuwahlen im Februar 2025 mündet. Auch ökonomisch ist die grösste Volkswirtschaft Europas auf Talfahrt. Es wird zu Massenentlassungen kommen.
Bedrohung von aussen
Gleichzeitig droht Europa Ungemach von aussen. Der grosse Partner Amerika wird am 20. Januar 2025 wahrscheinlich die Freundschaft kündigen, wenn Donald Trump (78) das Weisse Haus übernimmt. Seine Devise ist bekannt: America first. Alles andere kommt weit hinten.
Und dann ist da noch der russische Herrscher Wladimir Putin (72), der ein Nachbarland überfällt und mit Atombomben droht. Man rechnet mit Angriffen auf weitere Länder.
Deutsch-französische Freundschaft erloschen
Einerseits ist es dieser Krieg, der zum Absturz von Frankreich und Deutschland führte. Andererseits sind es hausgemachte Ursachen. Gilbert Casasus (68), ehemals Professor für Europastudien und Direktor des Zentrums für Europastudien an der Universität Freiburg, erklärt: «Während Frankreich Opfer seines Haushaltsdefizits geworden ist, leidet die Bundesrepublik Deutschland unter den schon längst absehbaren Folgen seiner Schuldenbremsideologie.»
Beide Länder würden eine Sinnkrise erleben und hätten sich zugunsten der europäischen Integration schrittweise von ihrem binationalen Engagement entfernt. «Daher ist es weder Berlin noch Paris gelungen, Europa neue Impulse zu verleihen, was sich überall negativ auswirkt», sagt Casasus.
Und er erinnert an eine Faustregel: «Klappt es zwischen Deutschland und Frankreich, klappt es in Europa. Klappt es zwischen den beiden nicht, geht auch in Europa alles schief.» Etwas, was auch die Schweizer nachdenklich machen sollte.
Viele ignorieren die Bedrohung
Laut Casasus sind sich viele Leute gar nicht bewusst, wie gross zurzeit die Bedrohung und wie ernst die Lage in Europa ist. «Europa ist ideologisch und militärisch zur Zielscheibe seiner Gegner geworden, und viele Europäer tun so, als würde es sich nur um eine vorübergehende Episode handeln.»
Casasus plädiert daher für eine «neue europäische Aufklärung», in der die gemeinsamen Werte gefestigt werden, sowie eine Anpassung des EU-Vertrags von Lissabon von 2009, wo unter anderem gemeinsame Ziele in der Verteidigung definiert werden sollen.
Eine europäische Armee
Da man nicht wisse, wie verlässlich die Nato sein würde, komme Europa wohl nicht darum herum, über die Aufstellung einer europäischen Armee und die Schaffung eines autonomen Atomschirms nachzudenken. Casasus: «Ohne eine gemeinsame, strategisch autonome und militärisch anspruchsvolle Rüstungs- und Verteidigungspolitik ist an eine europäische Souveränität nicht zu denken.»
Die Ursache für die Krise in Europa hat aber laut Casasus noch einen weiteren Grund: die Selbstgefälligkeit der Europäer. Casasus warnt vor Untätigkeit: «Dass Europa zur Insel der Demokratie geworden ist, reicht nicht aus, um sich auf den eigenen Lorbeeren auszuruhen.»