Die Ukraine bereitet sich auf eine Gegenoffensive im Frühling vor. Die Truppen von Präsident Wolodimir Selenski (45) sollen die russische Armee möglichst weit zurückdrängen. Damit soll die Position der Ukraine gestärkt werden, sollte es zu Verhandlungen über einen Waffenstillstand oder ein Einfrieren des Konflikts kommen.
Dass der russische Präsident Wladimir Putin (70) mit der Frühlingsoffensive in die Knie gezwungen werden kann, scheint laut Experten wenig plausibel. Ein hochrangiger europäischer Beamter sagt gegenüber der «New York Times»: «Die Wahrscheinlichkeit, dass Putin als Reaktion auf eine erfolgreiche ukrainische Gegenoffensive einen Rückzieher macht oder seine Verluste verringert, sei ‹kleiner als Null›. Stattdessen werde sich Putin wahrscheinlich dafür entscheiden, mehr Soldaten einzuberufen und zu schicken.»
«Kein magischer Moment, in dem Russland kollabiert»
Celeste A. Wallander (62), die stellvertretende US-Verteidigungsministerin für internationale Sicherheitsfragen, sagte, es gebe keine Anzeichen dafür, dass Putin zu einem Kompromiss bereit sei. «Es gibt nur sehr wenige Anzeichen und wenig Grund zu der Annahme, dass Putin sein strategisches Ziel der politischen, wenn nicht gar militärischen Unterwerfung der Ukraine aufgeben wird», sagte sie in einem Interview. «Dieses Ziel verfolgt er nicht erst seit einem Jahr, sondern schon seit fast einem Jahrzehnt. Es gibt also keine Anzeichen dafür, dass er dieses Ziel aufgibt.»
Der britische Verteidigungsminister Ben Wallace (52) äussert sich ähnlich. «Ich bin optimistisch, dass die Ukraine zwischen diesem und dem nächsten Jahr weiter an Dynamik gewinnen wird», sagt er zwar. Doch er relativiert zugleich: «Ich denke auch, dass wir realistisch sein sollten. Es wird nicht den einen magischen Moment geben, in dem Russland kollabiert.»
Zwölf Brigaden bald einsatzbereit
Die ukrainische Frühlingsoffensive könnte bereits im nächsten Monat starten. Die Nato-Verbündeten haben der Ukraine umfangreiche Artillerie- und Munitionslieferungen dafür zur Verfügung gestellt. Gleichzeitig sollen zwölf ukrainische Kampfbrigaden mit jeweils etwa 4000 Soldaten Ende April einsatzbereit sein. Dies geht aus durchgesickerten Pentagon-Dokumenten hervor. Die USA und die Nato-Verbündeten bilden demnach neun dieser Brigaden aus.
Experten gehen davon aus, dass sich die Frühlingsoffensive im Süden des Landes abspielen wird. Ukrainische Beamte erklären, ihr Ziel sei es, die eingegrabenen russischen Verteidigungsanlagen zu durchbrechen und die russische Armee auf breiter Front zum Einsturz zu bringen.
Warnung vor Munitionsverschwendung in Bachmut
Das ukrainische Militär feuert bei seinen Versuchen, die Stadt Bachmut zu halten, täglich Tausende von Artilleriegranaten ab. Laut dem Bericht ist das für amerikanische und europäische Regierungsbeamte ein Tempo, das nicht zu halten ist und die Frühlingsoffensive gefährden könnte. Das Pentagon habe die Verantwortlichen in Kiew sogar gewarnt, die Ukraine würde zu einem entscheidenden Zeitpunkt Munition verschwenden.
Experten zufolge besteht nach einem Ende der Frühlingsoffensive kaum eine Chance, dass der Westen die für den bevorstehenden Angriff der Ukraine angelegten Vorräte in absehbarer Zeit wieder aufstocken kann. Die westlichen Verbündeten würden selbst nicht über genügend Vorräte verfügen, heisst es. Durch inländische Produktion kann die Lücke demnach erst im nächsten Jahr geschlossen werden. (noo)