14 Menschen verloren am Pfingstsonntag westlich des Lago Maggiore ihr Leben. Weil eine Seilbahn in die Tiefe stürzte. Nun bleibt die Frage: Wie konnte es nur so weit kommen?
Ein Ermittler der Carabinieri sagte bei einer Pressekonferenz am Pfingstmontag, ein Stahlseil habe sich gelöst. Wo genau und warum, bleibt unklar. Offenbar war eine ganze Reihe von technischen Defekten schuld am Unglück, wie «La Stampa» berichtet. Zunächst gab es ein Problem mit dem stählernen Zugseil, das die Kabine den Berg hinauf befördert.
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Dann versagte das Bremssystem, das Sicherheitssystem des tragenden Kabels. Die Gondel war knapp vor dem letzten Mast angelangt. Daraufhin schoss die Gondel talwärts, übersprang einen Mast und stürzte 30 Meter in die Tiefe. Dann rollte sie noch mehrere Hundert Meter den steilen Hang hinunter, bis einige Bäume sie auffingen.
«Als Familienunternehmen sind wir tief betroffen»
Die Südtiroler Firma Leitner hat von 2014 bis 2016 an der Seilbahn eine Revision durchgeführt. Dabei wurde das Seil allerdings nicht ersetzt – dieses ist laut dem Mediensprecher des Unternehmens rund 20 Jahre alt. Der Leitner-Sprecher will nicht über die Unfallursache spekulieren. Er sagt zu BLICK: «Leitner ist ein Familienunternehmen und zutiefst schockiert und betroffen. Alle möchten, dass die Umstände, die zum Unglück geführt haben, so schnell wie möglich aufgeklärt werden.»
Im November 2020 seien die Seile von einem Fachspezialisten magnetinduktiv untersucht und die Ergebnisse den italienischen Behörden übermittelt worden. «Dabei wurden keine kritischen Mängel festgestellt», so der Mediensprecher. Zudem würden die Betreiber vor Ort täglich eine visuelle Kontrolle durchführen. Die magnetinduktive Prüfung erfolgt dagegen jährlich.
Wohl eher Verbindungsstelle das Problem, nicht das Seil
Berno Stoffel, Präsident der Branchenorganisation Seilbahnen Schweiz, sagte bereits am Tag des Unglücks zu Blick: «Ein Seilriss ist eine mögliche Variante. Es könnte aber auch sein, dass es einen technischen Defekt bei der Verbindung zwischen dem Seil und der Kabine gab. Das werden nun die Untersuchungen zeigen.»
Nach der heutigen Pressekonferenz lautet Stoffels Fazit: «Wenn die Verantwortlichen sagen, dass sich ein Stahlseil gelöst habe, heisst das noch nicht, dass es gerissen ist.» Ein Seilriss mit den «normativ vorgegebenen Sicherheitsfaktoren» ohne Fremdeinwirkung sei praktisch unmöglich. «Denn das Seil bei Bergbahnen ist so kompakt, stark und dynamisch, dass es eigentlich nicht reissen kann.»
Es gebe Seilverordnungen, welche die Konstruktion, den Transport, die Montage und die Kontrolle der Seile klar regeln würden, und diese beruhen auf den europäischen CEN-Normen. «Das sind europäische Normen, die insbesondere auch in Italien und der Schweiz gelten.»
Bei den periodischen Seilprüfungen – visuell und magnetinduktiv – sehe man sehr früh, ob es einen Punkt gibt, an dem das Seil vielleicht mal verletzt wurde, etwa bei einem Blitzeinschlag.
Nur äussere Einflüsse könnten zu einer solchen Verletzung führen, dass ein Seil theoretisch reissen könnte: «Ein Blitzeinschlag reicht da sicher noch nicht, schon eher ein Objekt, das mit grosser Wucht auf das Seil fällt, oder wie in der Vergangenheit mal vorgekommen durch ein Flugzeug, welches das Seil streift.»
Seil, das jährlich geröntgt wird, ist am Ende seiner Lebensdauer
Die mögliche Lebensdauer eines Seils hänge davon ab, wie es beansprucht werde. «Es muss immer beachtet werden, dass es möglichst reibungslos läuft, die Klemmstellen von Fahrzeugen und die Korrosion sind weitere Punkte, welche die Lebensdauer eines Seils beeinflussen», erklärt Stoffel.
Sämtliche Seile werden periodisch überprüft, üblicherweise alle drei, dann alle zwei Jahre und mit zunehmendem Alter jährlich. «Wenn ein Seil zeitlich sehr eng kontrolliert wird, ist es wahrscheinlich nahe am Lebensende. Das heisst, dass man es – unabhängig von diesem Fall hier – wohl bald ersetzen muss.» 20 Jahre und mehr könne ein Stahlseil aber gut halten. «Es kommt darauf an, wie es beansprucht wurde.»
Laut Stoffel sei die Wahrscheinlichkeit eines Seilrisses ohne äusseren Einflusses so gering, dass er meint: «In den letzten 40 Jahren habe ich das nirgends gesehen oder gehört. Aber meiner Erfahrung nach ist es bei solchen Bahn-Unfällen ohnehin meistens eine Kumulation von verschiedenen Ereignissen.»
Bei der heutigen Pressekonferenz blieben alle Punkte als Fragezeichen offen. Blick-TV-Reporterin Selina Berner berichtet nach dem Medienanlass in Stresa: «Wir konnten keine Fragen stellen.» Die Staatsanwaltschaft der Gemeinde Verbania in der Region Piemont hat die Ermittlungen aufgenommen.