Abschied vom Pizol-Gletscher
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Symbolische Gedenkfeier:Abschied vom Pizol-Gletscher

Schneller als erwartet
Diese Städte drohen zu versinken

Der neue Bericht des Weltklimarats zeichnet ein düsteres Bild der Zukunft: Die Gletscherschmelze und der Ozeananstieg schritten nun doch schneller voran, als bisher prognostiziert. Die ganze Weltbevölkerung ist betroffen.
Publiziert: 25.09.2019 um 11:02 Uhr
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Aktualisiert: 26.09.2019 um 09:04 Uhr
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Das Schmelzen der Polkappen trifft die Welt empfindlich – und verstärkt den Klimawandel.
Foto: AP

Die Eiswelten und Ozeane der Erde verändern sich durch den Klimawandel markant. Jetzt zeigt ein am Mittwoch in Monaco veröffentlichten Sonderbericht: Der Anstieg des Meeresspiegels wurde unterschätzt! Durch Veränderung der Ozeane, Gletscher, Eisschilde und des Permafrosts ist die gesamte Erdbevölkerung direkt oder indirekt betroffen

Dieser zeigt die Veränderungen auf, die die Ozeane und weltweiten Eis- und Schneevorkommen im Zuge des Klimawandels durchlaufen haben und wahrscheinlich noch durchlaufen werden. Und die damit verbundenen Risiken, die je nach Grad der Klimaerwärmung zunehmen.

Sinkende Städte

Derzeit steigt der Meeresspiegel jedoch etwa 2,5 mal so schnell - im Zeitraum 2006 bis 2015 lag der jährliche Anstieg bei 3,6 Millimetern. Und er beschleunigt sich weiter, warnen die Autorinnen und Autoren des Sonderberichts.

Der Bericht zeigt die Entwicklung unter verschiedenen Klimawandelszenarien auf - je nach Bemühungen der Staatengemeinschaft, den Klimawandel zu begrenzen. Selbst bei einem Szenario, bei dem die Erderwärmung auf zwei Grad Celsius gegenüber der vorindustriellen Zeit stabilisiert wird, steigt der Meeresspiegel voraussichtlich um 30 bis 60 Zentimeter. Ohne Klimaschutz sind es 60 bis 110 Zentimeter. Küstenregionen, in denen heute Hunderte von Millionen Menschen leben, werden dann unbewohnbar.

  • Jakarta
    Die indonesische Hauptstadt ist wegen ihrer Insellage besonders betroffen. Nicht nur der steigende Meeresspiegel macht der Stadt zu schaffen. Auch das exzessive Abpumpen des Grundwassers führen dazu, dass Jakarta eine der am schnellsten sinkende Städte ist. Bereits die Hälfte der Stadt befindet sich unter dem Meeresspiegel. Eins bis 15 Zentimeter sinkt die Stadt jährlich. Schreitet der Klimawandel unkontrolliert voran, so sind 95% der Stadt bis 2050 vollständig überflutet.
  • Houston
    Wie bei Jakarta ist auch in Houston das exzessive Abpumpen des Grundwassers eines der Hauptursachen für das Absinken der Stadt. Die Stadt ist seit den 1920er bereits mehr drei Meter gesunken. Mit etwa fünf Zentimeter pro Jahr sinkt die Stadt. 
  • Lagos
    Die Millionenstadt Nigerias ist besonders betroffen. Vor allem deswegen, weil die Stadt zum Teil auf dem Festland, zum Teil auf anliegende und künstliche Inseln gebaut wurde. Die Gefahr kommt vom Meer: Ein Anstieg der Meereshöhe von 20 Zentimeter würde das Gebiet für mehr als 700'000 Menschen unbewohnbar machen.
  • Peking 
    Die chinesische Hauptstadt liegt zwar nicht direkt an der Küste, ist aber von den Effekten des Klimawandels nicht minder betroffen. Einige Gebiete der Hauptstadt sinken derzeit mit einer Geschwindigkeit von zehn Zentimeter pro Jahr. Wie in den anderen Fällen ist auch hier das Grundwasser das Problem: Durch dessen Abpumpen vertrocknet der Boden, was zum Sinken der Stadt führt.
  • London
    Die Stadt an der Themse ist ebenfalls auf dem sinkenden Ast. Weniger vom Anstieg des Meeresspiegels direkt betroffen, als vom Wegschmelzen der Gletscher in Schottland. Denn die Eismasse drückte den nördlichen Teil der Insel nach unten, wobei der südliche Teil in die Höhe kam. Durch das Wegschmelzen der Gletscher sinkt nun die südliche Landmasse um etwa zwei Millimeter pro Jahr. 
  • New Orleans
    Die Küstenstadt in den USA ist ohnehin schon auf lockerem Boden gebaut worden. Demnach sind die Auswirkungen des Klimawandels auf diese Stadt extrem. Lag 1930 etwa ein Drittel der Stadt unter dem Meeresspiegel, liegt nach dem Hurrikan Katrina 2005 etwa die Hälfte der Stadt darunter. Mit einer Geschwindigkeit von einen Zentimeter pro Jahr versinkt die Küstenstadt, langsam aber sicher. 

1000-fache Schäden durch Überschwemmungen

Zwei Jahre lang haben über 100 Forschende aus 36 Ländern den Stand des Wissens zu den Folgen der Klimaerwärmung für die Weltmeere und die weltweiten Eis- und Schneevorkommen (Kryosphäre) zusammengetragen. Am Mittwoch stellte der Weltklimarat IPCC in Monaco den dritten und letzten einer Serie von Sonderberichten vor, die die Grundlage für den nächsten grossen Sachstandsbericht des IPCC darstellen.

Die bisher gemessenen Entwicklungen zeichnen bereits ein beunruhigendes Bild: Der Meeresspiegel ist im 20. Jahrhundert bereits um 15 Zentimeter gestiegen. «Rund 40 Prozent davon sind auf die Wärmeausdehnung zurückzuführen, der Rest auf das Schmelzen weltweiter Eisvorkommen», erklärte Thomas Frölicher von der Universität Bern, einer der Autoren des Berichts, der Nachrichtenagentur Keystone-SDA.

Der Bericht zeigt die weitere Entwicklung unter verschiedenen Klimawandelszenarien auf - je nach Bemühungen der Staatengemeinschaft, den Klimawandel zu begrenzen. Selbst bei einem Szenario, bei dem die Erderwärmung auf zwei Grad Celsius gegenüber der vorindustriellen Zeit stabilisiert wird, steigt der Meeresspiegel voraussichtlich um 30 bis 60 Zentimeter. Ohne Klimaschutz sind es 60 bis 110 Zentimeter. Küstenregionen, in denen heute Hunderte von Millionen Menschen leben, werden dann unbewohnbar.

Fluten und Küstenerosion

Mit dem steigenden Meeresspiegel nehmen in diesem Jahrhundert auch Risiken wie Fluten oder Küstenerosion deutlich zu. Alleine die Schäden durch Überschwemmungen werden jährlich auf das 100- bis 1000-fache ansteigen.

Der Sonderbericht wagt auch erstmals eine noch langfristigere Prognose, die allerdings mit grossen Unsicherheiten behaftet ist, wie Konrad Steffen von der Forschungsanstalt WSL betonte. Wie bei Wettervorhersagen werden die Prognosen unsicherer, je weiter man in die Zukunft schaut. Dennoch machen die Vorhersagen bis 2300 einen Trend deutlich: Selbst beim Erreichen des Zwei-Grad-Ziels wird der Meeresanstieg langfristig steigen, wenn auch langsam. Bis Ende des 24. Jahrhunderts könnte der Anstieg ebenfalls rund einen Meter betragen.

Gletscher gehen um 80 Prozent zurück

Ein erheblicher Teil des Meeresspiegelanstiegs geht auf das Schmelzen der Eisschilde Grönlands und der Antarktis zurück. Neben den Eisschilden der Polarregionen schmelzen auch die weltweiten Gletscher. Bis Ende des Jahrhunderts werden sie selbst bei einem Szenario mit Klimaschutz 22 bis 44 Prozent ihrer Masse verlieren, ohne Klimaschutz 37 bis 57 Prozent. Die kleineren Gletscher werden praktisch alle verschwinden. Mit weitreichenden Folgen für den Wasserhaushalt, beispielsweise auch in der Schweiz.

Die Ozeane sind einerseits ein wichtiger Puffer für den Klimawandel: Sie schluckten 90 Prozent der bisherigen Erwärmung und etwa ein Viertel der menschengemachten CO2-Emissionen. Dadurch verändern sich jedoch die gesamte Meereschemie und die marinen Ökosysteme, mit Auswirkungen unter anderem auf Fischbestände und Tourismus. Die Erwärmung der Ozeane und das Schmelzen der weltweiten Eisvorkommen sind einerseits Folge der Erderwärmung, haben aber umgekehrt auch Auswirkungen auf Klima- und Wettersysteme.

Direkt in der Schweiz spürbar ist auch das weltweite Tauen der Permafrostböden. Bisher gefrorene Böden und Steilhänge werden instabil, es kommt zu mehr Felsstürzen und Erdrutschen. Auf Permafrost errichtete Gebäude verlieren den festen Untergrund.

Ein weiteres Problem: Die Permafrostböden in den Polarregionen gelten als Kipppunkt im Klimasystem. Tauen sie zunehmend auf, setzen sie Kohlenstoff-Reservoire frei, die dort seit Tausenden von Jahren gespeichert waren, wie Steffen erklärte. Bis 2100 gelangen dadurch Dutzende oder gar Hunderte von Gigatonnen als Kohlendioxid oder Methan in die Atmosphäre und heizen das Klima weiter an. (SDA/spr)

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