Daniil F.* (21) kämpfte mehrere Monate im Ukraine-Krieg. Jetzt gesteht der russische Soldat, der wieder zu Hause ist, freiwillig seine Verbrechen und berichtet im Gespräch mit dem russischen, unabhängigen Nachrichtenportal «Waschnije Istorii» («wichtige Geschichten»), was sich an der Front abspielte.
Die Investigativjournalistin Jekaterina Fomina erfuhr von F., als sie mit Einwohnern im Dorf Andrijiwka in der Region Kiew über die Zeit der Besatzung sprach. Einige Soldaten hatten im März demnach Fotos mit einem gestohlenen Handy geschossen. Als das Telefon im Mai zu seinem rechtmässigen Besitzer zurückkehrt, entdeckt er die Selfies. Darauf zu sehen sind vier Mitglieder der 64. motorisierten Schützenbrigade. Unter ihnen auch Daniil F., den Fomina dank Social Media identifizieren kann.
Wie das Nachrichtenportal berichtet, kommt F. aus der Region Altaj nahe der kasachischen und mongolischen Grenze. Vor zwei Jahren hatte der Berufssoldat seinen Vertrag mit der Armee abgeschlossen. Vor dem Krieg arbeitete er in der Region Chabarowsk als Kraftfahrzeugmechaniker in einer Panzergrenadierbrigade.
Als «Kanonenfutter» an die Front
Am 11. Januar sei er zu «Übungszwecken» nach Belarus geschickt worden. Seinen Angaben zufolge hätten die dortigen Soldaten vor der Invasion keine spezielle Ausbildung erhalten. Beim Einmarsch hiess es von den Befehlshabern, der Einsatz würde lediglich drei Tage dauern, und sie seien nur zur «Abschreckung» dort.
Als klar wurde, dass dem nicht so ist, versuchten viele seiner Kollegen, zu kündigen, sagt F. Doch lange Zeit gelang das keinem. Der Brigadekommandant Asatbek O.*, der als Schlächter von Butscha bekannt wurde, habe die Männer angeschrien und gedemütigt. Er habe die einfachen Soldaten «nicht für Menschen gehalten», klagt der junge Mann. Stattdessen seien die jungen Männer als «Kanonenfutter» an die Front geworfen worden. Widerstandsversuche scheiterten.
«Wir haben versucht, zu erklären, dass wir nicht mehr in den Kampf ziehen werden», sagt er. Daraufhin sei O. mit Fäusten auf die Männer losgegangen und habe sie als Schwächlinge beschimpft. «Er schlug einem Soldaten mit dem Gewehrkolben ins Gesicht, hielt einem anderen die Pistole an die Stirn und sagte: ‹Ich werde dich jetzt erschiessen, und mir wird dafür nichts passieren›.»
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Oberleutnant gibt Schiess-Befehl
Während seiner Zeit in Andrijiwka sei seine Hauptaufgabe gewesen, beschädigte Ausrüstung abzuschleppen. Manchmal habe er auch verwundete Kameraden evakuieren und tote Soldaten transportieren müssen. «Einmal fuhr ich die Leiche eines Soldaten nach einem Granateneinschlag. Von ihm waren nur noch der Rumpf und die Hälfte des Kopfes übrig.»
Doch auch Daniil F. selbst hat zur Waffe gegriffen. Das gibt er aber erst in einem zweiten Gespräch zu. Er selbst meldet sich bei der Journalistin und legt in einem Videocall ein Geständnis ab: «Ich, ein Soldat der Militäreinheit 51460, Garde-Sanitäter Daniil F., gestehe alle Verbrechen, die ich in Andrijiwka begangen habe. Die Erschiessung von Zivilisten und die Diebstähle bei Zivilisten.»
Im März hätten er und andere Gefreite die Kommandanten zu einer Hausdurchsuchung begleiten müssen. Die Russen suchten nach Zivilisten, die mit der ukrainischen Armee kooperierten und ihnen ihre Standorte verrieten. Zuvor war eine Position von ukrainischen Raketen getroffen worden. 18 Soldaten seien dabei verletzt worden, einer von ihnen schwer. Seine Hoden seien von einem Granatsplitter zerschmettert worden, erzählt Daniil F.
Bei der Hausdurchsuchung habe der Oberleutnant Andrej P.* den Soldaten den Befehl gegeben, die Ukrainer zu erschiessen. «Erledigt sie», sagte er. F. gehorchte: «Das wars. Ich habe dann einen von ihnen erschossen.» Er habe den Mann aus dem Haus geführt und gesagt, er soll nach vorne gehen. «Er lief vorwärts. Ich sagte ihm: ‹Runter auf die Knie!› und jagte ihm dann eine Kugel in den Hinterkopf. Ich habe danach sehr lange gezittert.»
Mord aus Rache
Recherchen von «Waschnije Istorii» zufolge handelt es sich beim Erschossenen um Ruslan J.* Der Russe Daniil F. ist überzeugt, dass der Getötete die Koordinaten russischer Armeekonvois verraten hatte. Nicht nur habe man bei ihm und zwei weiteren Männern entsprechende Nachrichten auf dem Handy gefunden. Er selber habe vor seinem Tod zugegeben, Koordinaten verraten zu haben, erzählt F.
«Hast du ihn erschossen, weil du Rache üben wolltest?», will die Journalistin von F. wissen. «Ja, ich weiss, Rache ist eine beschissene Sache, aber ich habe mich gerächt und ich wusste, worauf ich mich einlasse», antwortet dieser. Der Mann sei aber die einzige Person gewesen, die er getötet habe, versichert er. «Ich habe 86 Menschen gerettet und einen getötet.»
Nach der Tat sei ihm klar geworden, dass er nicht noch einmal jemanden töten könne. «Ich kann das mit meinem Gewissen nicht vereinbaren, ich hätte mich sonst selber umgebracht.»
«Wir wissen nicht, mit wem wir kämpfen»
Doch warum rückt er jetzt mit der Wahrheit raus? Daniil F. erzählt, er habe beschlossen, seinen Kameraden zu helfen, die ihm zufolge bald wieder zurück an die Front geschickt werden sollen. «Die Menschen halten das physisch nicht mehr aus. Ich sehe, wie unsere Brigade zerstört wird.» Das Kommando würde sich «einen Dreck» um die Soldaten scheren, die an der Front kämpfen und sterben.
Und er gesteht, dass er immer noch nicht verstanden habe, wofür und mit wem er gekämpft hatte. «Sie (die Vorgesetzten Anm. d. Red.) erzählen uns, dass wir zur Rettung da sind, dass wir so toll sind, aber mit wem wir kämpfen – das wissen wir nicht. Die Artillerie leiste gute Arbeit, die ukrainischen Soldaten würden getötet, sagen sie. Aber wie viele Zivilisten getötet werden, wissen sie wahrscheinlich nicht einmal selbst.» Weiter sagt er: «Angeblich versuchen wir, die Zivilisten vor Faschisten zu retten. Aber ohne es zu ahnen, vernichten wir diese Zivilisten selber. Was hat es für einen Sinn, diesen Krieg weiterzuführen?»
Wenn er vorher gewusst hätte, dass Vertragssoldaten in den Krieg geschickt werden, hätte er niemals unterschrieben, beteuert er. In der Zwischenzeit hat F. seine Kündigung eingereicht. Wie es mit ihm weiter geht, ist noch ungewiss. «Mir ist klar, dass ich für all diese Informationen in den Knast kommen kann», sagt er. «Ich möchte einfach alles gestehen und erklären, was in unserem Land geschieht. Ich denke, es wäre besser gewesen, wenn es diesen Krieg gar nicht gegeben hätte.» (man)
* Namen bekannt