Im Herbst forderte er, Wladimir Putin (70) wegen Hochverrat anzuklagen. Der Appell ging bis an die russische Staatsduma – und wurde abgelehnt. Seither geht er seiner Arbeit als Abgeordneter des Bezirks St. Petersburg aus dem Ausland nach. Doch sein Kampf gegen den russischen Präsidenten ist nicht vorbei. In einem Interview mit dem «Stern» rechnet Nikita Juferew erneut mit Putin ab. Er sagt: «Putin hat alle verraten. Er hat zuerst die Wagner-Leute verraten. Dann hat er das Militär verraten.»
Hintergrund ist die Meuterei vom 24. Juni, bei der die Truppen von Wagner-Chef Jewgeni Prigoschin (62) Richtung Moskau zogen. Dabei schossen sie sechs Hubschrauber sowie ein Flugzeug der russischen Armee ab. Mindestens 15 Soldaten starben. Nachdem Prigoschins Truppen abgezogen waren, begnadigte Putin den Chef der Wagner-Gruppe und seine Söldner.
Juferew fordert vom Direktor des Inlandsgeheimdienstes der Russischen Föderation (FSB) und der russischen Generalstaatsanwaltschaft nun eine Erklärung. Als Abgeordneter hat er ein Recht auf eine «schlüssige Begründung» der Behörden.
Er will wissen, wieso die Wagner-Truppen ungestraft davonkamen. Laut Juferew hätten sie während der Meuterei mindestens 30 Verstösse gegen das Strafgesetzbuch vollbracht. Dass sie dennoch auf freiem Fuss sind, hält der Politiker für eine «Zerstörung des Rechtsstaats». Er sagt: «Der Präsident, der FSB, alle Sicherheitsdienste haben zusammen das Strafgesetzbuch abgeschafft.»
Wer glaubt, dass der Politiker sich damit auf die Seite Prigoschins stellt, liegt falsch. Putin bezeichnet er als «Kriegstreiber», Prigoschin als «Schlächter von Bachmut». Er sagt: «Der Kampf zwischen Putin und Prigoschin ist ein Kampf zweier Monster. Hier darf man sich auf keine Seite schlagen. Das sind Mörder.» Den Antrag habe er eingereicht, um die Behörden in eine «peinliche Lage» zu bringen. Er sagt: «Je mehr sie vor Wut schäumen, umso besser. Solange sich diese beiden Grössen einen Kampf liefern, kann ein Dritter ihnen ein Schnippchen schlagen.»
Der Aufstand demonstriert in den Augen des Politikers zudem Putins Schwäche. Er sagt: «Die Meuterei von Prigoschin hat gezeigt, in welchem Ausmass Putins Thron wackelt. Wir haben gesehen, dass seine Macht instabil ist.» Dass die zunächst von Putin angedrohte Strafe doch nicht umgesetzt wird, zeige des Weiteren, dass «Putin nicht in der Lage ist, sein Wort zu halten».
Juferew glaubt, dass Putin nun auch vor den russischen Eliten sein Gesicht verliere. Die Meuterei habe gezeigt, dass man Putin leicht Angst einjagen kann. «Das haben nicht nur wir gesehen, sondern auch die russischen Eliten. Ihr Glaube an seine Stärke und seine Führungskraft gerät ins Wanken», so Juferew. «Die Eliten haben jetzt eine hervorragende Gelegenheit, sich seiner zu entledigen – im politischen Sinn. Sie wissen jetzt, dass die Öffentlichkeit sich ihnen nicht in den Weg stellen wird.»
Dem schliesst sich auch Russland-Expertin Tatiana Stanovaya vom Berliner Thinktank «Carnegie Russia Eurasia Center» an. Auf Twitter schreibt sie: «Die Meuterei war so schockierend, dass es für viele aussah, als stünde das Regime vor dem Zusammenbruch. In den Augen der politischen Klasse hat Putin die Fähigkeit verloren, Kontrolle zu sichern.» (mrs)