Geheimdienstexperte erklärt milde Strafe nach Putschversuch in Russland
«Putin könnte der Meinung sein, dass er Prigoschin braucht»

Der Kreml wurde am Samstag kurzzeitig in den Panikmodus versetzt. Wagner-Chef Prigoschin erreichte mit seinen Söldnern die Vororte von Moskau. Eine mögliche Machtübernahme wurde abgewendet. Ein Experte ordnet ein, warum Putin Prigoschin dennoch in Ruhe lassen könnte.
Publiziert: 30.06.2023 um 20:22 Uhr
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Nach der Einstellung des Strafverfahrens gegen Jewgeni Prigoschin (62) äussert sich ein Geheimdienstexperte zu den möglichen Hintergründen der milden Reaktion.
Foto: Anadolu Agency via Getty Images

Russland steckt seit dem Putschversuch vom Samstag im Krisenmodus. Wagner-Chef Jewgeni Prigoschin (62) und seinen Söldnern gelang es, in nicht einmal 24 Stunden die Aussenbezirke Moskaus zu erreichen. Jetzt befindet sich Prigoschin angeblich im belarussischen Exil. Die Reaktion des Kremls wirkt äusserst mild. Denn: Am Dienstag teilte die Regierung mit, dass das gegen ihn eingeleitete Verfahren angesichts des Endes der «kriminellen Handlungen» eingestellt werde. Geheimdienstexperte Andrej Soldatow (47) erklärt gegenüber dem deutschen «Spiegel», warum Prigoschin ungeschoren davon gekommen sein könnte.

«Leute wie Prigoschin gibt es in der russischen Politik genau zwei: Ramsan Kadyrow (46) und Jewgeni Prigoschin (62) selbst», sagt Soldatow. Der Experte bezweifle, dass jemand anderes sich getraue, die Handlungsweisen dieser beider Männer als Vorbild zu nehmen. Somit sehe Putin vermutlich auch kein Nachahmungspotenzial bei allfälligen Gegnern.

Hinzu kommt: Putin und der Chef der Wagner-Gruppe hatten ein persönliches Verhältnis. «Manches weist darauf hin, dass Putin noch der Meinung ist, dass er Prigoschin braucht.» Das eingestellte Strafverfahren würde das unterstreichen. Wenn Putin Prigoschin dauerhaft und garantiert aus Russland hätte verbannen wollen, wäre das Strafverfahren nicht eingestellt worden, so der Experte. Jetzt könne die Wagner-Gruppe sogar weiterbestehen.

Vertrauenskrise innerhalb russischer Armee

Laut dem Experten hat Prigoschin nie vorgehabt, Putin zu stürzen. «Erstens ist er nicht gegen Putin persönlich aufgetreten, und zweitens hat er keinen Aufruf veröffentlicht». Prigoschins Aktion richtete sich hauptsächlich gegen Verteidigungsminister Sergei Schoigu (68). Was den Experten verblüffte: Als Prigoschin im Hof des Armeestabs von Rostow, die Übergabe von Schoigu und Valeri Gerasimov (67), Stabschef der russischen Führungskräfte forderte, stimmte dessen Stellvertreter Wladimir Alexejew (61) zu: «Nehmt sie mit!». Das zeuge von einer unglaublichen Vertrauenskrise innerhalb der russischen Armee.

Ob Putin seinen Verteidigungsminister im Amt lasse, ist laut Soldatow noch offen. Putin täte laut dem Experten gut daran, Schoigu nicht zu entlassen. An der Front liefe es derzeit nicht so schlecht, und solange Politiker schwach und unbeliebt sind, seien sie keine Gefahr für den Präsidenten.

Soldatow glaubt, dass der russische Geheimdienst FSB schon vor dem Putschversuch Kenntnis von Wagners Plan gehabt haben könnte. «Wagner ist eine grosse Organisation, und der FSB hat eine Reihe von eigenen Leuten in der Privatarmee.» Die Frage sei jedoch, ob diese Informationen auch an Putin weitergetragen wurden. (ene)


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