Plötzlich war er weg. Verschwunden. Im Dezember 2023 gab es für drei Wochen kein Lebenszeichen von Alexei Nawalny (†47). Dann tauchte er wieder auf. Am 26. Dezember meldete sich der prominente Putin-Kritiker und erklärte sein Verschwinden. Er wurde in die Strafkolonie IK-3 in Charp am Polarkreis gebracht, besser bekannt als Polarwolf.
«Macht euch keine Sorgen um mich, es ist alles in Ordnung. Ich bin so froh, dass ich endlich hier angekommen bin», schrieb Nawalny dazu. Doch jetzt ist klar: Er sollte keine zwei Monate dort überleben. Vergangene Woche sorgte der plötzliche Tod von Nawalny weltweit für Entsetzen.
Die genauen Umstände sind unklar. Die Mutter des getöteten Kreml-Kritikers soll die Meldung erhalten haben, dass Nawalny am Sudden Death Syndrom (zu Deutsch: plötzliches Todessyndrom) gestorben sei. Dabei dürfte es sich um den sogenannten Sekundentod handeln, welcher einen unerwarteten, plötzlich eintretenden Tod aufgrund von Herzproblemen umschreibt.
Entkommen ist praktisch unmöglich
Fakt ist: Der Polarwolf ist hart, die Bedingungen vor Ort brutal. Nawalnys Verbündeter, Iwan Schdanow, bezeichnete IK-3, das 1961 auf dem Gelände eines ehemaligen sowjetischen Gulag-Zwangsarbeitslagers gegründet wurde, als «eine der nördlichsten und abgelegensten» Gefangenenkolonien in Russland. Hier können bis 1050 Menschen inhaftiert werden.
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Entkommen ist praktisch unmöglich: Auf der einen Seite liegen Hunderte von Kilometern Tundra, auf der anderen die Berge des Polarurals. Und es ist bitterkalt. Bis zu minus 32 Grad. Nawalny machte sich Anfang Januar darüber noch lustig. «Heute bin ich spazieren gegangen, habe gefroren und an Leonardo DiCaprio und seinen Trick mit dem toten Pferd in ‹The Revenant› gedacht.» In dem Film kriecht Schauspieler DiCaprio (49) in einen noch warmen Tierkadaver, um nicht zu erfrieren.
Harte Begrüssung im Badehaus
Ehemalige IK-3-Häftlinge berichten von physischer und psychischer Brutalität. Es fehle auch an Kleidern, zum Teil würden nur ein Paar Winterstiefel und ein abgenutzter Anzug abgegeben. Und manchmal würden die Gefangenen in Zellen ohne Tageslicht und warmes Wasser gehalten. Einige beschuldigen die Gefängniswärter der Folter.
Ein Verurteilter berichtete, wie Neuankömmlinge «begrüsst» würden: «Wenn die Gefangenen die Kolonie betreten, werden sie in das Badehaus gebracht. Wenn eine Person sich auszieht und sich waschen will, wird das Wasser abgestellt und maskierte Personen kommen herein und beginnen, dich zu schlagen.» Rund 15 Personen – Häftlinge wie Angestellte – hätten eine halbe Stunde auf ihn eingedroschen, so der Ex-Gefangene.
Letzte Worte am Valentinstag
Regelmässig machte sich Nawalny trotz der harten Bedingungen in seinen Beiträgen auch über die Routinen im Gefängnis lustig. Am 22. Januar berichtete er, dass die Gefangenen jeden Morgen um 5 Uhr mit der russischen Nationalhymne geweckt würden. Das zweitwichtigste Lied sei «Ja Russkij» (zu Deutsch: Ich bin ein Russe) des kremltreuen Künstlers Shaman (32).
Zuletzt meldete sich der Kreml-Kritiker am Valentinstag zu Wort – mit einer Liebesbekundung an seine Frau Julia Nawalnaja (47). Kurz darauf folgte die Meldung über seinen plötzlichen Tod.
In vielen russischen Städten legten Menschen zum Gedenken an Nawalny Blumen an Denkmälern für Opfer politischer Repression nieder und zündeten Kerzen an. Im ganzen Land gab es am Wochenende Hunderte Festnahmen, an den Gedenkorten waren Polizisten und Männer in Zivilkleidung postiert.