Russische Spione haben schon in halb Europa zugeschlagen – Sicherheitsexperte Ralph D. Thiele warnt
«Wir unterschätzen diese Gefahr enorm»

Die Russen schlagen in Europa zu. Brandanschläge, Störung des Flugverkehrs und Zugentgleisungen sind Teil einer hybriden Kriegsführung, die auch die Schweiz erreichen könnte. Sicherheitsexperte Ralph D. Thiele kritisiert: «Die Gefahr wird zu wenig ernst genommen.»
Publiziert: 24.06.2024 um 19:53 Uhr
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Aktualisiert: 24.06.2024 um 21:41 Uhr
Anfang Mai brannte die Rüstungsfirma Diehl in Berlin. Es war kein Unfall, wie man zuerst meinte, sondern wohl ein Sabotageakt.
Foto: imago/Marius Schwarz
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Guido FelderAusland-Redaktor

Noch vor kurzem warnte die Nato vor «bösartigen Aktivitäten» Russlands in Europa. Jetzt schlägt der Kreml bereits mit grosser Wucht zu. In mehreren Ländern kam es zu Bränden und in Schweden zu zwei Zugentgleisungen, die russischen Saboteuren zugewiesen werden. Auch der Grossbrand in der Rüstungsfirma Diehl im Mai in Berlin soll ein Sabotageakt mit russischer Handschrift gewesen sein.

Die Helfer des russischen Präsidenten Wladimir Putin (71) sind unter uns. Ralph D. Thiele (70), deutscher Sicherheitsexperte und Autor des Buches «Hybride Kriegsführung, Zukunft und Technologien», schlägt Alarm. Gegenüber Blick sagt er: «Wir unterschätzen diese Gefahr enorm.»

Er bemängelt vor allem, dass solche Angriffe einzeln betrachtet und untersucht würden. «Wir gehen meistens davon aus, dass Anschläge, Cyberattacken und angegriffene Politiker in sich geschlossene Fälle sind. Keiner schaut auf den Zusammenhang dieser Aktivitäten, was eine Untersuchung und Bekämpfung schwierig macht.»

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Im Dezember 2023 entgleisten in Nordschweden gleich zwei Güterzüge.

Auch die Schweiz in Gefahr

Von Sabotagen betroffen seien nebst Anrainerstaaten Russlands auch Staaten wie Frankreich, Grossbritannien und Deutschland, welche die Ukraine massiv unterstützten. Besonders gefährdet seien aber die instabilen Länder Serbien, Kosovo sowie Bosnien und Herzegowina im Westbalkan. «Wir haben es versäumt, diese Staaten insbesondere bei der Abwehr hybrider Gefahren zu unterstützen», sagt Thiele.

Selbst die Schweiz könnte zum Ziel werden. Im Vorfeld der Bürgenstock-Konferenz Mitte Juni konnte ein mutmasslicher russischer Agent gestoppt werden, der offenbar versucht hatte, Waffen und Stoffe für Anschläge zu beschaffen. Die Bundesanwaltschaft bestätigte mehrere Hausdurchsuchungen. Thiele: «Die Schweiz steht zwar nicht im Zentrum, ist aber gefährdet, weil sie die Ukraine finanziell unterstützt und weil ein Teil der internationalen Finanzierung über die Schweiz läuft.»

Geheimdienste werben Leute an, «die Lust auf Action haben»

Thiele teilt die Täter in zwei Kategorien ein: Die Standardagenten der Geheimdienste und rekrutierte Personen, die im Zielland lebten. «Russische und auch chinesische Geheimdienste werben über das Internet Leute an, die Lust auf Action haben», erklärt Thiele. Zurzeit fokussierten sich die Saboteure vor allem auf Brandanschläge. Bezahlt würden die Attentäter ebenfalls online über eine Kryptowährung.

Zu potenziellen Anschlagszielen zählt Thiele Energiezentralen, Unterseekabel, Satelliten und weitere Kommunikationseinrichtungen. Thiele: «Es geht im Kern darum, Regierungen und Gesellschaften zu destabilisieren.» Unterstützt würden diese Bestrebungen durch europäische Politiker und Parteien, die dem Kreml den Rücken stärkten.

Thiele betrachtet die hybride Kriegsführung, zu der nebst Sabotagen auch Cyberangriffe und Propaganda zählen, im globalen Kampf als zentrales Element der Zukunft – gerade auch in Verbindung mit Künstlicher Intelligenz und Drohnen. Thiele warnt eindringlich: «Wenn wir diese Bedrohung nicht erkennen, können wir uns auch nicht wehren.»

Hier schlugen Saboteure bereits zu

  • Im Mai brannte die Rüstungsfirma Diehl in Berlin lichterloh. Es war kein Unfall, wie man zuerst meinte, sondern wohl ein Sabotageakt, wie das «Wall Street Journal» (WSJ) schreibt. Das Ziel: die Lieferung von Waffen und Munition für die Ukraine verhindern. Diehl Defence produziert auch das Luftabwehrsystem IRIS-T, das ebenfalls an die Ukraine geliefert wird.

  • Im Dezember 2023 wurde in Tallinn das Auto des estnischen Innenministers Lauri Läänemets (41) aufgebrochen. Die Polizei verhaftete zehn Verdächtige. Es soll sich um russische Agenten handeln, die Informationen sammelten, um Anschläge durchzuführen.

  • Im Dezember 2023 entgleisten in Nordschweden innerhalb von vier Tagen zwei Güterzüge der Malmbanan. Die Strecke blieb zwei Monate lang gesperrt. Die Polizei verdächtigte russische Saboteure.

  • In London brannte im März ein Lagerhaus mit Hilfsgütern für die Ukraine nieder. Fünf Männer wurden angeklagt, weil sie im Auftrag der russischen Söldnertruppe Wagner Unternehmen mit Beziehungen zur Ukraine ins Visier genommen haben sollen.

  • Die Finnair stellte im April die Flüge in die estnische Stadt Tartu vorübergehend ein, nachdem zwei Maschinen das GPS-Signal verloren hatten und umdrehen mussten. Es wird vermutet, dass die immer häufiger auftretenden Störungen von Russland ausgehen, aber nicht den Flugbetrieb zum primären Ziel haben.

  • In der litauischen Hauptstadt Vilnius brannte im Mai eine Ikea-Filiale und in der polnischen Hauptstadt Warschau ein Einkaufszentrum. Im Zusammenhang mit andern Bränden wurden neun Personen mit ukrainischem, belarussischem und polnischem Pass verhaftet.


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