Entgegen den anfänglichen Befürchtungen hielt Putin den Ball an seiner Rede am Tag des Sieges flach. Da die Kriegserklärung ausblieb, deuteten einige seine Ansprache vom Montag gar als «Rückzugsrede». Auch wurden Spekulationen laut, dass sich Putin künftig nur noch auf den Donbass konzentrieren wolle.
Obwohl der Kreml bereits an Ostern mit geballter Kraft im Osten vorgestossen ist, gerät seine Grossoffensive jetzt ins Stocken. Sogar Putins loyalsten Handlagern fällt es mittlerweile schwer, das Ausmass der Versäumnisse der russischen Armee in der Ukraine zu ignorieren. Dies berichtet die britische «Daily Mail».
Putins Operation sei «beschämend unentschlossen»
«Beschämend unentschlossen» nannte Kriegskorrespondent und Putin-Propagandist Aleksander Sladkov (56) die militärische Sonderoperation des Kremls. Diese Aussage machte er in einem Video, das am Montag in den sozialen Medien kursierte.
Den russischen Truppen gelinge es nicht, die ukrainischen Streitkräfte zu verdrängen. Dementsprechend würden die beiden Armeen mittlerweile «Eins zu Eins» kämpfen – die Russen seien den Ukrainern zahlenmässig nicht mehr überlegen. Zudem würden die russischen Truppen «aus etwas, das eigentlich Routine sein sollte, ein Kunststück machen». Auch an Ausrüstung mangle es massiv. Bis die Waffen die Truppen erreichen, vergehe eine halbe Ewigkeit.
Sladkov ist normalerweise bekannt dafür, Kreml-freundliche Inhalte in den sozialen Medien zu verbreiten. In seinem Video kritisierte er nun die russische Taktik scharf – und ist damit nicht alleine, wie die Zeitung weiter schreibt.
Nach den Angaben eines hochrangigen US-Beamten, der in der «Daily Mail» anonym bleiben wollte, würden einige russische Offiziere gar militärische Befehle ignorieren. Zudem bestätigen die US-Beamten die Beobachtung, dass Russland im Donbass in den letzten Tagen keine Fortschritte erzielte und weiterhin auf den unermüdlichen Widerstand der Ukrainer stosse.
Russische Truppen haben keine Reserven
Der ehemalige russische Oberst Michail Chodarjonok sieht bereits Hopfen und Malz verloren. Auch eine befürchtete Generalmobilmachung würde nicht helfen – Russland fehlen es an Ausrüstung und Männern zum Aufbau neuer Militäreinheiten. «Wir haben keine Reserven», so Chodarjonok.
Der russische Fernsehmoderator und Propagandist Wladimir Solowjow (58) schlägt in die gleiche Kerbe: Die russischen Truppen seien nicht in der Lage, sich Drohnen zu beschaffen. Es würden zu wenige hergestellt, und selbst die, die vorhanden seien, bräuchten zu lange, um in den Kampf zu ziehen. «Versuchen Sie einmal, etwas in den Donbass zu bringen», sagte er. Da sei es sogar einfacher, die Waffen über den ukrainischen Zoll in Lemberg einzuführen.
Ukraine verzeichnet mehr Gebietsgewinne als Russland
Die Änderung des Tons der Propagandisten ist ein herber Schlag für den Kreml. Denn normalerweise sind es die Staatsmedien, welche die Macht der russischen Streitkräfte anpreisen und Putins Führung stark und entschlossen erscheinen lassen.
Nachdem die russischen Truppen nach mehr als zwei Monaten im Einsatz nach wie vor keine beträchtlichen Erfolge verzeichnen, beginnt die Fassade von Putins «militärische Sonderoperation» zu bröckeln.
Nicht nur der Angriff auf Kiew musste abgebrochen werden. Auch die Hafenstadt Mariupol ist trotz wochenlanger Belagerung noch nicht erobert. Auch ein Vorstoss in Richtung Mykolajiw oder Odessa blieb aus, obwohl die russischen Generäle die Einnahme der Schwarzmeerküste als eines ihrer Hauptziele ankündigten. Stattdessen gelang es den ukrainischen Streitkräften, den Grossteil der Gebietsgewinne für sich zu entscheiden. (dzc)