Sie sollen einen Umsturz geplant und dafür teilweise auch mit Waffen trainiert haben: Die deutsche Bundesanwaltschaft hat 25 Menschen aus der sogenannten Reichsbürgerszene festnehmen lassen.
Rund 3000 Polizeibeamte seien am Mittwochmorgen in elf Bundesländern im Einsatz gewesen, sagte eine Sprecherin der Bundesanwaltschaft in Karlsruhe der Deutschen Presse-Agentur. Festgenommen wurden die Menschen den Angaben nach in den Bundesländern Baden-Württemberg, Bayern, Berlin, Hessen, Niedersachsen, Sachsen und Thüringen. Auch in Österreich und Italien wurde jeweils eine Person verhaftet. Durchsuchungen habe es darüber hinaus in Brandenburg, Nordrhein-Westfalen, Rheinland-Pfalz und dem Saarland gegeben.
Tote in Kauf genommen
Noch am Mittwoch will die Bundesanwaltschaft mit der Vernehmung der ersten Festgenommenen beginnen, wie die Sprecherin sagte. Die terroristische Vereinigung habe die staatliche Ordnung in Deutschland stürzen und durch eine eigene ersetzen wollen, die in Grundzügen schon ausgearbeitet sei. Dafür hätte sie auch Tote in Kauf genommen.
22 der Festgenommenen sollen Mitglieder dieser terroristischen Vereinigung sein, zwei davon Rädelsführer. Drei weitere gelten als Unterstützer. Mit Ausnahme einer Russin haben alle die deutsche Staatsbürgerschaft. Darüber hinaus gebe es 27 weitere Beschuldigte, sagte die Sprecherin. Mehr als 130 Objekte wurden durchsucht.
Ex-AfD-Politikerin war als Justizministerin vorgesehen
Der Unternehmer Heinrich XIII. Prinz Reuss (71) aus Hessen gilt als einer der Rädelsführer. Zu den Festgenommenen gehört auch die Berliner Richterin und frühere AfD-Bundestagsabgeordnete Birgit Malsack-Winkemann (58). Sie sass von 2017 bis 2021 für die AfD im Bundestag, im März 2022 kehrte sie in den Richterdienst zurück und ist am Landgericht Berlin tätig.
Nach einem gewaltsamen Umsturz wollte die Gruppe den Ermittlungen zufolge eine eigene Regierung einsetzen, an deren Spitze Heinrich XIII. Prinz Reuss gestanden hätte. Malsack-Winkemann war offenbar als Justizministerin vorgesehen. Diese Regierung hätte nach Vorstellungen der Verschwörer mit Russland Verhandlungen aufgenommen. Prinz Reuss habe dazu bereits Kontakt zu russischen Stellen aufgenommen. Allerdings fanden die Ermittler keine Hinweise darauf, dass man auf seine Annäherungsversuche eingegangen wäre.
Die russische Botschaft in Berlin weist jegliche Verbindung zur Reichsbürgerszene in Deutschland zurück. Die «russischen diplomatischen und konsularischen Büros in Deutschland unterhalten keine Kontakte zu Vertretern terroristischer Gruppen oder anderen illegalen Einheiten», heisst es laut russischen Nachrichtenagenturen in einer Erklärung der Botschaft.
Treffen, um Machtübernahme zu planen
«Wir haben noch keinen Namen für diese Vereinigung», sagte die Sprecherin. Diese begründe sich den Erkenntnissen zufolge auf Verschwörungsmythen. Die Mitglieder seien der festen Überzeugung, dass Deutschland derzeit von Angehörigen eines sogenannten Deep States, eines «tiefen Staats», regiert werde, hiess es in einer Mitteilung. Ein Angriff eines technisch überlegenen Geheimbundes von Regierungen, Nachrichtendiensten und Militärs verschiedener Staaten, einschliesslich der Russischen Föderation sowie der Vereinigten Staaten von Amerika stehe dieser Überzeugung nach kurz bevor.
Spätestens Ende November 2021 sollen die Menschen die Gruppierung gegründet haben. Zentrales Gremium sei ein «Rat». Dieser verfüge ähnlich wie das Kabinett einer regulären Regierung über Ressorts wie Justiz, Aussen und Gesundheit. «Die Mitglieder des ‹Rates› haben sich seit November 2021 regelmässig im Verborgenen getroffen, um die angestrebte Machtübernahme in Deutschland und den Aufbau eigener Staatsstrukturen zu planen», teilte die Bundesanwaltschaft mit.
Rekrutierungsbemühungen bei Bundeswehr und Polizei
Ein «militärischer Arm» sollte den demokratischen Rechtsstaat auch auf Ebene der Gemeinden, Kreise und Kommunen «beseitigen», hiess es. Der Vereinigung sei bewusst, dass es dabei zu Toten kommen werde. «Sie nimmt dieses Szenario aber als notwendigen Zwischenschritt zur Erreichung des von ihr angestrebten ‹Systemwechsels auf allen Ebenen› zumindest billigend in Kauf.» Einige mutmassliche Mitglieder des militärischen Arms hätten aktiv Dienst in der Bundeswehr geleistet.
Auch hätten sie vor allem Angehörige der Bundeswehr und Polizei für den geplanten Staatsumsturz rekrutieren wollen. Die Ermittlungen der Bundesanwaltschaft richten sich auch gegen einen Soldaten des Kommandos Spezialkräfte (KSK) der Bundeswehr und mehrere Reservisten der Bundeswehr. Der aktive Soldat sei im Stab des KSK eingesetzt, sagte ein Sprecher des Militärischen Abschirmdienstes (MAD).
Justizminister spricht von «Anti-Terror-Einsatz»
Bundesjustizminister Marco Buschmann bezeichnete die deutschlandweite Razzia als «Anti-Terror-Einsatz». «Demokratie ist wehrhaft: Seit heute Morgen findet ein grosser Anti-Terror-Einsatz statt», schrieb der FDP-Politiker am Mittwochmorgen auf Twitter.
«Die Ermittlungen lassen in den Abgrund einer terroristischen Bedrohung aus dem Reichsbürger-Milieu blicken», sagte Bundesinnenministerin Nancy Faeser (SPD).
Ausgangspunkt der Ermittlungen sollen Verbindungen von Mitgliedern der nun ausgehobenen Vereinigung zu Angehörigen der Gruppe «Vereinte Patrioten» sein, die im April festgenommen worden waren und geplant haben sollen, Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) zu entführen.
Geheimdienst rechnet mit 21'000 Anhängern
«Reichsbürger» sind Menschen, die die Bundesrepublik Deutschland und ihre staatlichen Strukturen nicht anerkennen. Sie behaupten, dass das Deutsche Reich (1871-1945) weiter existiere. Sie weigern sich oft, Steuern zu zahlen. Nicht selten stehen sie im Konflikt mit Behörden. Der Verfassungsschutz (Inlandsgeheimdienst) rechnet der Szene rund 21'000 Anhänger zu.
Bei etwa fünf Prozent von ihnen, also rund 1150, handelt es sich nach Angaben der Behörde um Rechtsextremisten. Im Jahr 2021 rechnete der Verfassungsschutz der Szene «Reichsbürger und Selbstverwalter» 1011 extremistische Straftaten zu. (SDA/AFP/noo)