Darum gehts
Russlands Präsident Wladimir Putin (72) führt seinen amerikanischen Amtskollegen Donald Trump (78) bei den Ukraine-Verhandlungen an der Nase herum. Neuster Streich: Putin hat vorgeschlagen, die Ukraine vorübergehend unter die Verwaltung der Uno zu stellen, um Wahlen durchzuführen. «Im Prinzip könnte natürlich eine Übergangsverwaltung in der Ukraine unter der Schirmherrschaft der Vereinten Nationen, der Vereinigten Staaten, der europäischen Länder und unserer Partner eingesetzt werden», sagte Putin während eines Besuchs in der nördlichen Hafenstadt Murmansk, wo er mit Matrosen des Atom-U-Boots Archangelsk sprach.
Putins neuste Idee könnte aber bei Donald Trump (78) auf offene Ohren stossen, sagt Russland-Experte Ulrich Schmid (59) von der Universität St. Gallen. Aber: Wenn Trump wirklich in die Falle tappt, werden die Konsequenzen weitreichend sein.
Warum kommt Putin gerade jetzt mit diesem Vorschlag?
«Weil er damit eigene Konzession meidet, Trump beschäftigt hält und in der Zwischenzeit weiter militärisch gegen die Ukraine vorgehen kann», sagt Frank Sauer (45), Politikwissenschaftler an der Universität der Bundeswehr München.
Russland steht militärisch in einer relativ starken Position. In den letzten Monaten konnte Putin Geländegewinne in der Ostukraine erzielen. In Murmansk zeigte er sich einmal mehr siegesgewiss. Die ukrainischen Truppen ständen kurz vor der totalen Niederlage, behauptete Putin: «Es gibt Grund, anzunehmen, dass wir ihnen den Gnadenstoss geben.»
«Anders als Putin es vollmundig darstellt, steht die Ukraine keineswegs vor einer militärischen Niederlage», sagt Ulrich Schmid von der Uni St. Gallen. Die Situation könne jedoch im Sommer kritisch werden, wenn westliche Waffenlieferungen ausblieben. «Aber es besteht keine realistische Chance, dass Putin die Kontrolle über die vier annektierten Gebiete in der Ostukraine in absehbarer Zeit erreicht», betont Schmid. Deshalb greife Putin nun zu der Finte, dem Westen ein Friedensangebot zu machen. Dieses solle als Kompromiss erscheinen – diene in Tat und Wahrheit aber dem Ziel, die gesamte Ukraine zu einem russischen Vasallenstaat zu machen.
Was bedeutet dies für die laufenden Verhandlungen?
«Putin führt Trump an der Nase herum, wie schon in Trumps erster Präsidentschaft», sagt Frank Sauer.
Putin simuliere russische Verhandlungsbereitschaft, sagt Schmid. Damit wolle er die Ukraine als jene Partei erscheinen lassen, die sich einem Frieden verweigere. «Dabei will er die Tatsache verwischen, dass Russland selbst diesen Krieg begonnen und damit gegen die Grundartikel der Uno-Charta verstossen hat.»
Für die Ukraine wäre eine UN-Verwaltung inakzeptabel, da dies die Legitimität der aktuellen Regierung unter Präsident Wolodimir Selenski (47) infrage stellt und Russland potenziell Einfluss auf die Gestaltung einer neuen Regierung geben könnte.
Könnten die USA auf den Vorschlag eingehen?
«Das lässt sich aufgrund der inkompetenten und erratischen Politik des Weissen Hauses schwer sagen», meint Sauer.
Schmid: «Die ersten Reaktionen aus dem Weissen Haus sind verhalten.» Allerdings könne man bei der bisherigen russlandfreundlichen Haltung der Trump-Administration nichts ausschliessen. «Trump hat schon früher Neuwahlen in der Ukraine gefordert und Selenski als ‹Diktator› bezeichnet.»
Letztlich würde ein Deal, der Russland die Kontrolle über ukrainische Territorien zugesteht, auch Trump in die Hand spielen, argumentiert Schmid: «Wenn Russland über Luhansk, Donezk, Saporischschja und Cherson herrschen kann, dann könnten die USA ja auch über Panama, Grönland und Kanada herrschen.»
Können die USA es zulassen, dass Putin die Ukraine in seinen Einflussbereich zieht?
«Ja», meint Frank Sauer trocken. «Trump hat Putin ja bereits im ersten Telefonat alle russischen Maximalforderungen zugestanden.»
Auch Schmid sagt: «Der Trump-Administration ist das Schicksal der Ukraine letztlich egal.» Der eigentliche Gegner für die Trump-Administration sei China. «Auch Trumps ‹Bromance› mit Putin ist vor diesem Hintergrund zu sehen», erklärt Schmid. Die Trump-Administration träume von einer Détente zwischen den USA und Russland, die sich auch wirtschaftlich ausschlachten lasse. «Eine solche neue Allianz soll aus amerikanischer Sicht die Abhängigkeit Russlands von China verringern», sagt Schmid.
Gibt es überhaupt einen Friedenswillen im Kreml?
«Aktuell leider nicht», sagt Sauer. Klar ist für ihn aber: Sollten die USA auf Putins neusten Vorschlag eingehen, so wäre das eine Katastrophe für die Ukraine und den Rest Europas.
Putins Uno-Vorschlag ist daher wohl kein ernsthaftes Friedensangebot, sondern ein taktischer Schachzug, um Zeit zu gewinnen. Putin will die Ukraine weiter schwächen und die Verhandlungen zu seinen Gunsten lenken. Er setzt weiterhin eher auf einen Sieg als auf einen Kompromiss.