Bald soll es so weit sein: Die Ukrainer wollen im Krieg zurückschlagen und die russischen Truppen weiter zurückdrängen. Im Gespräch mit Blick sprach der ukrainische Offizier Andriy Chernyak (52) von einem «wahren Feuerwerk» und einer «heftigen Sache für die russischen Besatzer».
Auch die Befehlshaber der russischen Armee sind sich dieser drohenden Gegenoffensive bewusst. Laut der US-Denkfabrik Institute for the Study of War (ISW) wollen die russischen Offiziere deshalb vom Angriff abweichen und in die Verteidigung übergehen.
«Nicht in der Lage, Putin Botschaft zu vermitteln»
Die Experten schreiben: «Die russische Militärführung versucht wohl, Putin davon zu überzeugen, sich ebenfalls auf defensive Operationen zu verlegen.» Gemäss ISW sei das aber gar nicht so leicht, denn die taktischen Kriegsführer seien «nicht in der Lage, Putin diese Botschaft unverblümt zu vermitteln».
Zahlreiche Militärexperten glauben, dass sich Russlands Präsident Wladimir Putin (70) seit Kriegsbeginn mit Ja-Sagern umgibt. Isoliert von der Realität soll Putin nur Feedback von Personen erhalten, die ihm genau das sagen, was er hören möchte. Für russische Offiziere soll es deshalb schwierig sein, ihrem Präsidenten die Wahrheit zu sagen.
Einer, der direkt im Umgang mit Putin ist und auch nicht vor Kritik an Russlands Truppen zurückschreckt, ist Wagner-Chef Jewgeni Prigoschin (64). Auch er will Putin davon überzeugen, in den Verteidigungsmodus zu wechseln.
Ist Prigoschin Übermittler der Wahrheit?
«Der Finanzier der Wagner-Gruppe, Jewgeni Prigoschin, versucht wohl, den russischen Präsidenten Wladimir Putin davon zu überzeugen, im Vorfeld einer möglichen ukrainischen Gegenoffensive in die Defensive zu gehen», so das ISW.
Prigoschin soll dafür plädieren, dass Russland seinen Fokus auf den Erhalt der aktuellen Frontlinien legt. Nur so können die Angreifer ihm zufolge die Kampfkraft für spätere Offensivoperationen wiedererlangen. Russland müsse sich «so verankern, dass es nur mit den Krallen des Gegners möglich ist, die russischen Streitkräfte aus ihren Stellungen herauszureissen», so der Wagner-Boss.
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Der Söldner-Führer dürfte als Übermittler dieser Botschaft fungieren. Das ISW glaubt nämlich, dass sich russische Offiziere und Kremlbeamte an ihn gewandt haben, weil sie sich selbst nicht trauen, dem Präsidenten die unangenehme Wahrheit zu sagen.
Generäle haben Angst vor Absetzung
Putin ist berüchtigt dafür, die Führung im Ukraine-Krieg schnell auszutauschen. Viele Generäle haben wohl Angst davor, mit der Kriegsrealität beim Präsident anzuecken und ihren Posten zu riskieren.
Ob Prigoschins mahnende Worte ausreichen, um Putin von einer Umstellung auf die Defensive zu überzeugen, darf allerdings stark bezweifelt werden. Bis heute hält der russische Präsident an Offensivoperationen in der Ostukraine fest. Putin und sein enger Kreis von Kriegsbefürwortern werden wohl auch in Zukunft auf Geländegewinne beharren. (obf)