Stillstand in der Ukraine: Bis auf die winzigen Frontverschiebungen rund um die umkämpfte Donbass-Stadt Bachmut scheint die Lage im Kriegsland wie erstarrt. Das will Kiew mit einer Frühlingsoffensive ändern und einmal mehr die Oberhand gewinnen. Nur: Wann, wie und wo genau diese Gegenoffensive starten wird, das wissen laut dem ukrainischen Sicherheitschef Oleksij Danilow gerade mal fünf Personen.
Ob Andrij Tschernjak (52) zu ihnen gehört, verrät der Offizier des ukrainischen Geheimdienstes im Gespräch mit Blick nicht. Eines aber macht Tschernjak unmissverständlich klar: «Die ganzen Experten werden bald staunen, wenn sie sehen, was wir machen. Die Gegenoffensive wird ein wahres Feuerwerk, eine heftige Sache für die russischen Besatzer!»
Ukraine setzt auf Überraschungseffekt
Im vergangenen Sommer hat die Ukraine in einem für alle Seiten überraschenden Grossangriff weite Gebiete rund um die Stadt Charkiw im Nordosten des Landes von den russischen Angreifern zurückerobert. Internationale Beobachter erwarteten eigentlich eine Offensive im Süden des Landes rund um die inzwischen ebenfalls befreite Stadt Cherson. «Diesen Überraschungseffekt wollen wir natürlich auch jetzt nutzen», sagt Andrij Tschernjak.
Der ukrainische Gegenangriff könne jederzeit in alle Richtungen losgehen. «Unsere Geheimdienste beobachten den Feind rund um die Uhr. Sobald wir eine Schwachstelle entdecken, schlagen wir sofort zu», sagt Tschernjak.
Experten vermuten, dass die Ukraine nach Ende der matschigen Tauwetter-Phase (in der Ukraine «Rasputiza» genannt) einen Grossangriff im Südosten des Landes in Richtung der von Russland besetzten Stadt Melitopol lancieren könnten. Damit würde die Ukraine die russische Landverbindung zur besetzten Halbinsel Krim durchbrechen. Moskau hätte kaum noch Möglichkeiten, seine Truppen auf der Krim mit Nachschub zu versorgen.
Die Russen kämpfen mit neuer Armee
Diesen Plan will Geheimdienstler Tschernjak gegenüber Blick nicht kommentieren. «Wie gross und erfolgreich der Gegenangriff sein wird, hängt davon ab, wie viel Munition, Panzer und Luftabwehrsysteme wir vom Westen erhalten. Je mehr ihr schickt, umso besser für uns.»
Die Ukraine brauche die Unterstützung umso mehr, weil auch die Russen nicht geschlafen hätten, sagt Tschernjak. «Sie haben unsere Angriffe der vergangenen Monate genauestens studiert.» Die russische Armee sei nicht mehr dieselbe wie vor einem guten Jahr. Als Putins Truppen im Februar 2022 in sein Land eingefallen seien, hätten sie weder eine Ahnung noch ausreichend Material gehabt, sagt Tschernjak. «Jetzt haben sie sich angepasst. Das zeigt etwa die brutale Taktik der menschlichen Angriffswellen, mit der die Wagner-Truppen in Bachmut kämpfen.»
Doch nicht nur an ihrem Angriff haben die Russen gefeilt. Auch defensiv sind sie deutlich besser aufgestellt als bei den letzten ukrainischen Gegenoffensiven im Sommer 2022.
Das zeigen die Auswertungen des amerikanischen Verteidigungsexperten Brady Africk. Africk hat sämtliche russischen Verteidigungswälle und Panzersperren (sogenannte «Drachenzähne») hinter der Kriegsfront analysiert und auf einer Karte eingetragen. Die Karte zeigt: Insbesondere rund um den Eingang auf die Halbinsel Krim und um die besetzte Stadt Melitopol haben die Russen massive Befestigungen aufgebaut. Sie zu durchbrechen, wird selbst mit den vom Westen gelieferten Kampfpanzern keine leichte Aufgabe.
Ohne westliche Kampfjets wirds schwierig
«Genau deshalb brauchen wir jetzt F-16-Kampfjets», sagte Jurij Ignat (45), Oberst der ukrainischen Luftwaffe, diese Woche einem Gespräch mit Journalisten, bei dem auch Blick mit dabei war. Die alten amerikanischen Kampfjets, von denen weltweit noch immer rund 4500 herumstehen, brauche die Ukraine nicht zuletzt auch zur Verteidigung vor russischen Raketenangriffen. Mit den Kampfjets könnten Raketen abgeschossen und russische Stellung präzise zerstört werden.
Geleakte Dokumente in den USA legten zuletzt die Vermutung nahe, dass der Ukraine bereits Mitte Mai die Munition für ihre Luftabwehrsysteme ausgehen könnte. «Wenn die Russen anfangen, uns vermehrt mit ihren Kampfjets anzugreifen, dann wird das verheerend. Die Zerstörung wird zehnmal grösser als durch ihre jetzt eingesetzten Raketen.»
Deshalb, sagt Oberst Ignat, «wird der F-16 zur Waffe unseres Sieges». Klar, Moskau würde wohl «ausrasten», wenn der Westen der Ukraine tatsächlich solche Kampfjets schickte, gibt Ignat zu. Aber auf russische Befindlichkeiten könne man jetzt in dieser entscheidenden Phase des Krieges schlicht keine Rücksicht nehmen.