Sondieren, präzisieren, intensivieren: Wenns darum geht, den Stillstand in den Beziehungen zur EU zu erklären, ist der Bundesrat bei seiner Wortwahl kreativ. Auch bei den Reisen von Chefunterhändlerin Livia Leu nach Brüssel in den vergangenen Monaten handelt es sich – Achtung! – keinesfalls um Verhandlungen, sondern um «explorative Gespräche», in denen die Schweiz der EU ihre Position klarmachen will. Bislang offenbar mit bescheidenem Erfolg. Geplant ist, dass Leu im September ein weiteres Mal nach Brüssel fliegt.
Über ein Jahr nach dem Abbruch der Verhandlungen zum Rahmenabkommen zeigt der Bundesrat keinerlei Eile, sich mit der EU wieder an den Tisch zu setzen.
Dagegen regt sich Widerstand aus der Zivilgesellschaft. Gestern lancierte die Europäische Bewegung Schweiz eine Petition, die vom Bundesrat Verhandlungen mit Brüssel verlangt; am Dienstag will die Operation Libero den Text ihrer Europa-Initiative vorstellen. Vergangene Woche forderte zudem die Anti-Rahmenabkommen-Allianz Kompass/Europa, völlig ironiefrei, ein Interims-Stromabkommen mit der EU.
Währenddessen legt Aussenminister Ignazio Cassis eine Gemächlichkeit an den Tag, die im umgekehrten Verhältnis zur Bedeutung steht, die Europa für die Schweiz hat.
Denn die anhaltende Blockade kostet die Schweiz: Geld, Reputation, Rechtssicherheit.
Den vielleicht höchsten Preis zahlt die Wissenschaft. Mit dem Ausschluss aus dem EU-Forschungsprogramm Horizon verlieren Unis und ETH Projektleitungen, Forscherinnen und Projekte wandern in EU-Länder ab. Aber auch in anderen Bereichen machen sich die negativen Folgen des angespannten Verhältnisses zur EU bemerkbar. Im Falle der Affenpocken bleibt die Schweiz bei der Beschaffung des Impfstoffes aussen vor. Bei den Solidaritätsabkommen für die Gasversorgung, um die sich die Schweiz derzeit bemüht, harzt es.
Und so wächst auch im Parlament der Druck auf den Bundesrat. Die Aussenpolitischen Kommissionen beider Räte äussern ihren Unmut darüber, dass der Bundesrat trödelt, statt vorwärtszumachen.
Damit haben sie natürlich recht. Nur: Ein weiterer Anlauf mit der EU kann nur dann Erfolg haben, wenn auch die Parteien ihre Verantwortung übernehmen und der Bevölkerung reinen Wein einschenken. Beispielsweise wenn es darum geht, dass es ohne den Einbezug des Europäischen Gerichtshofs keine Lösung mit der EU geben wird.
Denn das Problem liegt nicht in Brüssel, sondern in Bern: Es braucht eine ehrliche Debatte darüber, dass auch die Schweiz Kompromisse eingehen muss. Das würde das Land weiterbringen als nochmaliges Sondieren, Präzisieren und Intensivieren.