Politikwissenschaftler Peter R. Neumann (47) erklärt neue Weltunordnung
«Die Demokratie befindet sich in der Defensive»

Der Westen ist beim Rest der Welt in Ungnade gefallen, ist sich Politikwissenschaftler Peter R. Neumann sicher. Die Auswirkungen sind fatal – und eine Lösung schwieriger als gedacht.
Publiziert: 12.12.2022 um 11:59 Uhr
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Aktualisiert: 10.01.2024 um 12:53 Uhr
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Der Politikwissenschaftler Peter R. Neumann ist sich sicher: Die Macht des Westens schwindet.
Foto: zVg / Laurence Chaperon
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Chiara SchlenzAusland-Redaktorin

Seit bald zehn Monaten herrscht ein blutiger Krieg in Europa. China – laut den USA die «grösste Bedrohung» – baut seine Macht aus und im Zuge des Ukraine-Kriegs wendet sich der afrikanische Kontinent weiter Russland und China zu. Der russische Präsident Wladimir Putin (70) sagte jüngst in einer Rede: «Wir stehen vor dem unsichersten Jahrzehnt seit dem Ende des Zweiten Weltkriegs.» Es entsteht der Eindruck, dass die Welt, wie wir sie kennen, aus den Fugen geraten ist. 

Laut Peter R. Neumann (47), deutscher Politikwissenschaftler, Journalist und Autor des Buches «Die neue Weltunordnung – Wie sich der Westen selbst zerstört», könnte der Kreml-Chef mit dieser Aussage recht haben. Im Gespräch mit Blick bestätigt auch er: «Die Welt steckt in einer Phase der Unordnung. In einer Phase, von der Historiker mal sagen werden: ‹Das war die Phase, in der irgendwie klar war, dass dieses System nicht mehr weiter existieren kann, aber noch nicht klar war, was darauf folgen soll.›» Das liberale, internationale System, das sich nach dem Ende des Kalten Krieges etablierte und vom Westen – vor allem von den USA – dominiert wurde, steht laut ihm unter Druck. Aber warum?

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«Die Idee eines geeinten Westens gibt es gar nicht mehr»
Peter R. Neumann
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Neumann erklärt: «Das hängt damit zusammen, dass Länder wie Russland sehr unzufrieden mit diesem System sind und in den letzten Jahrzehnten das Gefühl hatten, nur unzureichend Anteil an diesem System zu haben. Es hängt auch damit zusammen, dass mit China eine Grossmacht aufsteigt, die ihren eigenen Platz in der Weltordnung fordert und die zum Teil auch dieses System nach anderen Regeln aufstellen möchte. Und es hängt damit zusammen, dass unsere eigenen westlichen Demokratien im Innern recht unstabil geworden sind. Die Idee eines geeinten Westens gibt es gar nicht mehr.»

Das beste Beispiel hierfür seien die USA. «Ein Land, das es noch nicht einmal schafft, eine Wahl durchzuführen, die vom Verlierer akzeptiert wird, möchte anderen Ländern etwas von Demokratie erzählen.» Das wirkt laut Neumann heuchlerisch und unglaubwürdig. Der Zerfall des Westens von Innen verhindere zudem, dass man sich um sein Image im Rest der Welt kümmert. «Wir sind zu sehr auf uns selbst fixiert.» Und dies ist für Neumann die aktuell grösste Herausforderung. Die düstere Bilanz: «Die Demokratie befindet sich in der Defensive. Wir müssen uns ernsthafte Gedanken darüber machen, wie wir das westliche System ins nächste Jahrhundert retten.» Wie konnte es so weit kommen?

Der Westen hat grosse Fehler gemacht

Ein Blick in die Geschichte à la Neumann: «Nach dem Ende des Kalten Krieges wirkte der Westen so dominant und die westlichen Vorstellungen so offensichtlich, dass man davon ausging, dass sie sich von alleine ausbreiten würden und keiner Erklärung bedürften.» Ein Fehler. «Einerseits war der Westen sehr naiv, andererseits aber auch sehr arrogant. Diese Mischung hat letztlich dazu geführt, dass der Westen und seine Ideologie nicht erfolgreich waren.»

Das Ergebnis dieses giftigen Cocktails wird nun sichtbar. Denn viele afrikanische Staaten haben den westlichen Einfluss nicht als befreiend empfunden. «Der Westen hat es nicht geschafft, diese Werte im gleichen Masse in die Dritte Welt zu exportieren.» Was man dort erfahren habe, war häufig Ausbeutung. Die Konsequenz: Man wendet sich vom Westen ab – und hin zu China und Russland. Vor allem China werde in Afrika weitaus besser wahrgenommen als der Westen. 

Für Neumann ist die Lösung klar: «Wir müssen bescheidener werden. Den Leuten ausserhalb des Westens ernsthaft zuhören. Unsere eigenen Fehler zugeben. Und versuchen, echte Partnerschaften aufzubauen.» 

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