Pandemiepotential aus dem Tierreich
Für Viren sind Menschen die neuen Fledermäuse

Pferde, Vögel, Fledermäuse, Schweine – das enge Zusammenleben von Mensch und Tier bietet perfekte Lebensbedingungen für Viren.
Publiziert: 07.02.2020 um 08:33 Uhr
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Aktualisiert: 03.07.2020 um 12:52 Uhr
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Fledermäuse sind ein Reservoir für das Coronavirus.
Silvia Tschui

Stammt das Coronavirus ursprünglich von der Fledermaus? Manches deutet da­rauf hin – womit die neue, tödliche Lungenkrankheit aus China eine lange Geschichte fortschreibt: Die meisten Erreger mit Pandemiepotenzial entstanden aus dem Zusammenleben von Mensch und Tier.

Dabei waren Menschen für Viren und Bakterien lange Zeit nicht sehr interessant: Denn die Winzlinge sind darauf programmiert, so lange wie möglich zu ­leben und sich so weit wie möglich zu verbreiten. Den Wirtsorganismus schnell zu töten, ist da kontraproduktiv – ebenso wie die Spezialisierung auf eine einzige Art, die über Jahrtausende nur in kleinen Jagdver­bänden lebte: Sind in ­einem Steinzeitgrüppli alle infiziert und sterben, ist es auch mit dem Krankheitserreger vorbei. Viel interessanter für Viren und Bakterien sind Tiere, die auf ­engem Raum zusammen­leben. Vor allem Fledermäuse gelten bis heute als bedeutendstes Reservoir für Mikroorganismen, die auf den Menschen überspringen könnten.

Der Mensch selbst wurde für Krankheitserreger erst zum Wirt, als auch er begann, in grossen Verbänden zusammenzuleben. Für den europäischen Raum gilt dies ­allerspätestens ab dem Mittelalter.

Wie entsteht eine Pandemie?

Drei Faktoren müssen zusammenspielen, damit sich eine Pandemie entwickelt, ob damals oder heute, erklärt Professor Frank Rühli, Direktor und Gründer des Instituts für Evolutionäre Medizin an der Universität Zürich. Es brauche einen sogenannten Herd – also beispielsweise ein Tier, in dem sich ein Erreger be- findet, der auf Menschen überspringen kann. Wichtig ­seien auch Umweltbedingungen – bei grosser Kälte verbreiten sich Viren und Bakterien weniger. Drittens begünstigt ein starkes so­ziales Gefälle die Verbreitung von Krankheiten. Arme Menschen leben in reichen Städten dichter zusammen und gehen weniger oft zum Arzt.

In den engen Gassen der mittelalterlichen Städte verbreitete sich die Beulenpest in mehreren Wellen rasend: In der schlimmsten Phase zwischen 1346 und 1353 starben in Europa bis zu 25 Millionen Menschen, ein Drittel der Bevölkerung.
Übertragen wurde die Mikrobe über Flöhe, die sich, wie man lange annahm, an Ratten infizierten. Neuere Forschungen gehen davon aus, dass ein anderes Tier die Quelle des Beulenpestbakteriums war: Steppenpferde, wie sie vor rund 3000 Jahren aus dem asiatischen Grossraum nach ­Europa eingeführt wurden.

Für die aktuelle These spricht, dass um das Jahr 1900 in einem Versuch mit dem Pestbakterium euro­päische Pferde immun waren, Steppenpferde aber starben. Es könnte also sein, dass der Erreger seinen Weg via Pferde und Flöhe zu Ratten und so zum Menschen fand.

Vögel gelten als Reservoir der meisten Grippe­viren

Auch die Geflügelhaltung hat es in sich – und zwar nicht erst seit der Vogelgrippe. Zwischen 1918 und den 1920er-Jahren starben zwischen 25 und 50 Millionen Menschen an der Spanischen Grippe – ausgelöst wurde sie durch ein Virus, das von Geflügel auf Menschen übergesprungen war und seinen Ursprung wahrscheinlich im US-Bundesstaat Kansas hatte. Forscher nehmen an, dass sich das Virus wegen Truppenbewegungen während des Ersten Weltkriegs weltweit verbreiten konnte.

Vögel gelten als Reservoir der meisten Grippe­viren – auch für eine Mutation, die vor einigen Jahren auf Schweine wie auch auf den Menschen übertreten konnte. Die Influenza-Variante H1N1, gemeinhin als Schweinegrippe bezeichnet, sorgte im Jahr 2009/10 für Verunsicherung. Sie soll von mexikanischen Borstentieren weitergegeben worden sein.

2002 und 2003 tötete das Sars-Virus 1000 Menschen.Wie der Erreger aus dem chinesischen Wuhan, der dort in Fledermäusen vorkommt, gehört es zur Corona-Familie.

Überwachung sollte ausgebaut werden

Pandemien stammen also oft aus einem Erreger­reservoir, das in Tieren schlummert, mit denen wir zusammenleben oder die wir essen. Evolutionsmediziner Rühli sagt: «Die Gefahr von Pandemien wächst unter anderem angesichts der wachsenden Weltbevölkerung, gekoppelt mit dem globalen Flugverkehr.» Für Viren sind wir sozusagen die neuen Fledermäuse.

Wäre es da nicht angemessen, unser Zusammenleben mit Tieren zu überdenken? «Nicht unbedingt», meint Rühli, «evolutionär hat die Menschheit körperliche und geistige Vorteile daraus gewonnen, dass Tiere und ihre Produkte ständig verfügbar waren.» Wichtiger wäre nach seiner Auffassung eine grössere Bereitschaft dafür, in die globale Überwachung und Vermeidung möglicher Pandemien und Pandemieherde zu investieren.

Was ist das Coronavirus?

Das neue Coronavirus hält die Welt in Atem. Doch was genau ist das Sars-ähnliche Virus überhaupt? Wie entstand es? Und wie kann man sich schützen? BLICK klärt hier die wichtigsten Fragen und hält Sie im Newsticker auf dem Laufenden.

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