Auf einen Blick
Zuerst Hamas-Militärchef Mohammed Deif (†59), dann Hamas-Politchef Ismail Haniyya (†62) und jetzt Hamas-Führer Yahya Sinwar (†61): Den Israelis ist es innert nur drei Monaten gelungen, die wichtigsten Hamas-Köpfe zu neutralisieren, sprich zu töten.
Der Schlag gegen Yahya Sinwar am Mittwoch trifft die Hamas zwar empfindlich. Doch wie bei einer Hydra wird ihn schnell ein anderer Kopf ersetzen. Im Vordergrund steht laut dem Institute for the Study of War (ISW) Yahyas jüngerer Bruder Mohammed Sinwar (49). Brutal wie sein älterer Bruder steht er in Israel ebenfalls seit Jahren auf der Todesliste.
Mohammed Sinwar wuchs im Flüchtlingslager Chan Yunis im Gazastreifen auf und erhielt seine Grundausbildung an einer vom Unrwa-Hilfswerk unterstützten Schule. Sein Bruder Yahya, sein grosses Vorbild, führte ihn schon als Jugendlichen kurz nach der Gründung der Hamas 1987 in die Terrororganisation ein.
Sechsmal Anschlägen entkommen
Schnell kletterte Mohammed Sinwar die Terror-Karriereleiter hoch. Innerhalb der Qassam-Brigaden, einer militärischen Unterorganisation der Hamas, übernahm er 2005 das Kommando über die Chan-Yunis-Brigade. Der israelische Militäranalyst Yaakov Lappin schreibt auf dem Portal des Nahost-Thinktanks mena-watch.com: «Sinwar wurde zum Befehlshaber für Sondereinsätze und Logistik ernannt und war einer der Initiatoren des Einsatzes von Angriffstunneln gegen Stellungen der israelischen Armee während der zweiten Intifada.» Die zweite Intifada war ein Konflikt zwischen Palästinensern und Israelis und dauerte von 2000 bis 2005.
Sechsmal versuchten die Israelis, Mohammed Sinwar zu töten, jedes Mal kam er seinen Verfolgern davon. Um diese auf eine falsche Fährte zu locken, liess er sich 2014 für tot erklären und brachte ein Foto in Umlauf, das ihn auf einem blutbefleckten Bett zeigte.
Inzwischen weiss man: Es war ein Täuschungsmanöver. Seit rund 20 Jahren versteckt sich Mohammed Sinwar im Untergrund und verzichtete 2022 aus Sicherheitsgründen sogar auf die Teilnahme an der Beerdigung seines Vaters. Für seine Ergreifung hatte Israel im vergangenen Jahr 300’000 Dollar ausgesetzt, für Hinweise auf Jahia stellte Israel 400’000 Dollar in Aussicht.
Federführend beim Überfall auf Israel
Wie sein Bruder gilt Mohammed als federführende Kraft beim Überfall auf Israel am 7. Oktober 2023. Laut Michael Milshtein, Leiter des Forums für Palästinastudien am Moshe-Dayan-Zentrum für Nahost- und Afrikastudien der Universität Tel Aviv, überwachte er vor dem Attentat die Tunnelsysteme, die Logistik, die Infrastruktur, die Rekrutierung sowie die Kriegsplanung.
Nebst Mohammed Sinwar gibt es laut «NZZ» noch weitere Namen, die als Hamas-Chef genannt werden: Sinwars Stellvertreter Khalil al-Hayya (64) und Veteran Khaled Mashal (68). Der Westen hofft auf Mashal, da er gute Kontakte zu den Golfstaaten pflegt und am ehesten den Krieg beenden könnte.
Hamas geschwächt
Durch den schweren Angriff der Israelis im Gazastreifen ist die Hamas massiv geschwächt. Ihre Angehörigen kämpfen zurzeit nur noch unkoordiniert in kleinen Zellen, was es der Hamas auch erschwert, einen Überblick über den Zustand und die Standorte der am 7. Oktober 2023 verschleppten Geiseln zu bewahren.
US-Präsident Joe Biden (81) sieht nach dem Tod von Jahia Sinwar Hoffnung, den Krieg zu beenden. Doch sowohl die Hamas als auch die Hisbollah im Libanon haben als Reaktion verstärkte Angriffe angekündigt. «Zudem», so sagt Nahost-Experte Erich Gysling gegenüber Blick, «agiert eine neue Generation oft radikaler als die vorherige.»
Der Einfluss eines neuen Hamas-Führers dürfte im Moment jedoch eher gering sein. Das ISW schreibt: «Mohammed Sinwar und andere werden nicht in der Lage sein, die Dynamik vor Ort unmittelbar zu beeinflussen.» Sinwar und andere Anführer würden erst dann von Bedeutung sein, wenn sie den Krieg überlebten und die Hamas in ihren militärischen Flügel im Gazastreifen investieren könne.
Israel bläst zur Jagd
Ob die führenden Hamas-Köpfe allerdings den Krieg überleben, ist fraglich. Denn den Israelis ist es gelungen, schon mehrere Terrorführer zu töten. Im September sagte der israelische Verteidigungsminister Joaw Gallant (65) vor Soldaten: «Wir werden Mohammed und Jahia Sinwar erreichen. Diese verfluchten Terroristen werden gefasst werden.»
Dieses Versprechen ist in nur einem Monat bereits zur Hälfte eingelöst worden. Mohammed Sinwar weiss, dass er der nächste auf der Liste ist. Die Frage ist wohl nicht, ob er gefasst wird, sondern eher wann.