Auf einen Blick
- Israel tötet Hamas-Chef Jahia Sinwar in Rafah
- Sinwar nutzte das Tunnelsystem und Geiseln als Schutzschild
- Hamas-Tunnelsystem erstreckt sich über 480 Kilometer
- Mehr als 42'400 Menschen getötet laut Hamas-Gesundheitsbehörde
- Sinwar verzichtete auf elektronische Kommunikation zur Tarnung
Israel wollte unbedingt seinen Tod. Kein Wunder: Jahia Sinwar (†61) verantwortet den blutigen Überfall auf Israel vom 7. Oktober 2023, was den Hamas-Chef zu einem der meistgesuchten Köpfe der Palästinenserorganisation machte. Beim Angriff waren israelischen Angaben zufolge 1198 Menschen getötet und 251 weitere als Geiseln in den Gazastreifen verschleppt worden.
Daraufhin eröffnete Israel die Jagd auf den 61-Jährigen. Israels Verteidigungsminister Joaw Gallant (65) beteuerte im November 2023: «Wir werden Sinwar finden und ihn eliminieren.»
Jetzt wurde das tödliche Versprechen eingelöst. Nach Angaben der israelischen Armee wurde Sinwar am Mittwoch in Rafah im südlichen Gazastreifen getötet. Nachdem er und zwei weitere Bewaffnete eher zufällig entdeckt worden sein sollen, habe sich Sinwar in einem Haus versteckt und ein israelischer Panzer eine Granate in das Gebäude gefeuert, berichtete die Zeitung «The Times of Israel».
Versteckt im hochkomplexen Tunnelnetzwerk
Sinwar war am 7. Oktober letztmals öffentlich aufgetreten. Nach dem Massaker in Israel war der Hamas-Chef untergetaucht. Dafür nutzte er vermutlich das weit verzweigte, geheime Tunnelsystem unter dem Gazastreifen. Angeblich soll er sich stets mit Geiseln als menschlichem Schutzschild umgeben haben.
Die Hamas arbeitet seit den 90er-Jahren an ihrem hochkomplexen Tunnelnetzwerk. Wie viele Tunnel es genau gibt, ist unklar. Experten gehen aber davon aus, dass die Gesamtlänge etwa 480 Kilometer beträgt. Ebenso wird angenommen, dass die Tunnel im Schnitt rund einen Kilometer lang und maximal 40 Meter tief sind.
Und genau in solch einem Tunnel wurde der Hamas-Chef zuletzt gesehen. Eine Überwachungskamera der Terror-Organisation zeichnete auf, wie Sinwar am 10. Oktober mit seiner Frau und drei Kindern durch einen engen Tunnel im Dunkeln verschwindet. Das israelische Militär kam einige Monate später an die Aufnahmen.
Blutige Treibjagd mit Bomben und Raketen
Um Sinwar zu schnappen, setzte Israel auf einen Mix aus Spionage, Technologie und jeder Menge Gewalt. Teilweise bombten sie Gebäude nieder – ohne Rücksicht auf Verluste. Viele Zivilisten wurden dabei verletzt und getötet. Nach Angaben der Hamas-Gesundheitsbehörde, die nicht unabhängig überprüft werden können, wurden mehr als 42'400 Menschen getötet. Alles, um den Hamas-Chef in die Enge zu treiben und schliesslich zu töten.
Israel setzte bei der Suche nach Sinwar auf ein Team aus Geheimdienstmitarbeitern, Spezialeinheiten der israelischen Verteidigungsstreitkräfte (IDF), Militäringenieuren und Überwachungsexperten unter der Schirmherrschaft des israelischen Sicherheitsdienstes Shabak.
Er flüchtete in ein Haus
Die israelischen Verteidigungsstreitkräfte (IDF) erklärten nach Sinwars Tod, dass der Hamas-Chef durch die Angriffe gezwungen war, den entscheidenden «Fehler» zu machen und das Tunnelsystem zu verlassen. «Er verliess den Tunnel, ging in ein Wohnhaus.» So die Version des IDF.
Nach Angaben des israelischen Militärs stiessen Soldaten der 828. Brigade am Mittwoch bei einer Routinepatrouille in Rafah im Süden des Gazastreifens auf drei militante Palästinenser. Die Armee sei bereits in den vergangenen Wochen im Stadtteil Tel Sultan im Einsatz gewesen, um Hinweisen nachzugehen, dass sich dort vermutlich hochrangige Hamas-Führer aufhalten, sagte Armeesprecher Daniel Hagari.
Am Mittwoch hätten sie dann «drei Terroristen» entdeckt, die von Haus zu Haus gingen. Die Soldaten eröffneten das Feuer und trieben die Gruppe auseinander. «Sinwar stürmte allein in ein Gebäude, und unsere Streitkräfte inspizierten das Gebiet mit einer Drohne», sagte Hagari.
Kein Handy, kein Computer, kein Pager
Dass es mehr als ein Jahr dauern würde, Sinwar zu finden, war zunächst unvorstellbar. «Hätte man mir zu Beginn des Kriegs gesagt, dass er mehr als 11 Monate später noch am Leben sein würde, hätte ich das erstaunlich gefunden», sagte Michael Milshtein, ehemaliger Leiter der Abteilung für palästinensische Angelegenheiten des israelischen Militärgeheimdienstes (Aman), zu «The Guardian».
Vermutlich verzichtete der Hamas-Chef auf elektronische Kommunikation. Kein Handy, kein Computer, kein Pager. Nichts, um seinen Verfolgern Spuren zu hinterlassen. Wahrscheinlich nutzte er wenige Kuriere, denen er vertraute, um die Terror-Gruppe weiterhin zu kontrollieren und Befehle zu erteilen. So kamen die USA damals übrigens auf die Spur des früheren Al-Kaida-Chefs Osama Bin Laden (1957–2011). Darum versuchte Israel auch, einen solchen Kurier aufzuspüren. Ohne Erfolg.
Am Ende war es vermutlich doch der Zufall, der Israel in die Karten spielte und Sinwar zum Verhängnis wurde.