Gestern einfach gestern sein lassen: Wer über die faschistische Vergangenheit Italiens sprechen möchte, trifft oft auf diese Mentalität. Kein Wunder also, dass die Serie «M. Il figlio del secolo» (Deutsch: «M. Der Sohn des Jahrhunderts») in Italien hohe Wellen schlägt. Die teils fiktive Miniserie zeichnet in acht Episoden den Aufstieg des Diktators nach.
Während die einen die Serie als neuen Blick auf den italienischen Faschismus feiern, ringen andere damit, so direkt mit der unschönen Vergangenheit des Landes konfrontiert zu werden. Doch warum ruft die Serie solche Kontroversen hervor?
Der Vergleich mit Deutschland hinkt
Tatsächlich wird in Italien ein anderer Umgang mit der faschistischen Vergangenheit gepflegt, der aus deutschsprachiger Sicht irritierend wirken kann. In Mussolinis Geburtsort Predappio zollen Menschen dem «Duce» nach wie vor Respekt, und nicht selten hört man, Mussolini habe «auch gute Dinge» getan – ein Narrativ, das in einem Deutschland nach Adolf Hitler (1889-1945) zumindest bei einem Grossteil der Bevölkerung für Stirnrunzeln sorgen würde.
Nino Galetti, Leiter des Auslandsbüros der Konrad-Adenauer-Stiftung in Rom, liefert eine Erklärung: «Im Vergleich zu Deutschland haben die Italiener einen entspannten Umgang mit ihrem früheren Diktator.»
Galetti betont auch, dass der Vergleich mit Deutschland hinkt: «Mussolini war sicherlich ein Diktator und Gewaltherrscher, aber nicht der Verbrecher, der Hitler war.» Die Dimension der nationalsozialistischen Verbrechen, insbesondere der Holocaust, schaffe einen fundamental anderen Zugang zur Geschichte. Gleichzeitig steht mit Giorgia Meloni eine Ministerpräsidentin an der Spitze Italiens, die in ihrer Jugend der postfaschistischen Partei MSI nahestand. In diesem Kontext trifft «M. Il figlio del secolo» einen Nerv und zwingt die italienische Gesellschaft, sich mit ihrem faschistischen Erbe auseinanderzusetzen.
Unterschiedliche Kulturen sorgen für anderen Umgang
Auch kulturelle Unterschiede spielen eine Rolle. In Deutschland wird viel Wert darauf gelegt, sich mit der eigenen Geschichte auseinanderzusetzen. Es wird offen über die Vergangenheit gesprochen, besonders in Schulen und in den Medien. In Italien dagegen spricht man weniger über die dunklen Kapitel der Geschichte, so Galetti, der selbst in Italien lebt. Viele Menschen dort haben die Einstellung, dass es besser ist, die Vergangenheit ruhen zu lassen.
Selbst wenn alle wissen, dass früher Fehler gemacht wurden, wird nicht darüber geredet. Für viele ist es unangenehm, solche Themen wieder aufzugreifen, und es gehört nicht zur Alltagskultur, sie immer wieder zu diskutieren. Das könnte der Grund sein, weshalb die Serie für so viel Aufruhr sorgt, schlussfolgert der Experte.
Antonio Scurati (55), der Autor der Bücher auf denen die Serie basiert, ist mehrfach mit der Partei Fratelli d'Italia (Brüder Italiens) von Ministerpräsidentin Giorgia Meloni aneinandergeraten. Im vergangenen April beschloss die RAI (die staatliche Rundfunkanstalt, deren Führungsspitze grösstenteils von der Regierung bestimmt wird), eine seiner Reden abzusagen.
Doch gerade in Zeiten des erstarkenden Rechtspopulismus in Europa stellt sich die Frage, ob eine aktive Auseinandersetzung mit der eigenen Geschichte nicht umso dringlicher wäre. Ein Blick auf die europäische Nachbarschaft verstärkt die Relevanz dieser Debatte. Europa erlebt gerade einen heftigen Rechtsrutsch. In einer Vielzahl von Ländern sind Regierungen an der Macht – oder drohen es zu sein, wie in Deutschland – die das damals Geschehene nicht nur kritisieren.
«Wir wären enttäuscht gewesen»
Auch in Italien gibt es Gruppen, die den Faschismus nostalgisch verklären. Galetti sieht allerdings keinen Hinweis darauf, dass Italien unter Meloni auf einen faschistischen Kurs zurückkehre: «Im Gegenteil.» Meloni zeigte sich beim jüngsten Holocaust-Gedenktag reflektiert: Sie räumte die Komplizenschaft des faschistischen Regimes ein und kündigte eine Strategie zur Bekämpfung von Antisemitismus an.
Die Serie «M. Il figlio del secolo» führt eindrücklich vor Augen, wie fragil das kollektive Gedächtnis sein kann und wie wichtig kulturelle Impulse für eine kritische Selbstreflexion sind. Das war laut den Machern der Show auch das Ziel der Serie: «Wir haben diese Kontroverse nicht erwartet, sondern sie erhofft. Wäre die Serie unbemerkt geblieben oder nur wegen ihrer künstlerischen Qualität berücksichtigt worden, wären wir enttäuscht gewesen», so Stefano Bises und Davide Serino, die Screenwriter der Show, gegenüber «Rolling Stone Italia».
Auf die Frage an einer Pressekonferenz, ob sie sich die Serie ansehen wolle, sagte Meloni: «Sie werden verstehen, dass ich andere Prioritäten habe, ich habe seit mehr als zwei Jahren keine Fernsehserie mehr gesehen.»