Auf einen Blick
Beim Sport steigt der Sieger automatisch aufs Siegespodest. Nicht so in der Politik: In Österreich und bei deutschen Regionalwahlen werden die Wahlsieger von der Regierung ausgeschlossen.
So wird es den zum Teil rechtsextremen Parteien FPÖ und AfD verwehrt, sich an einer Regierung zu beteiligen. In anderen Ländern wie Italien oder den Niederlanden wurden die Rechtsextremen aber in die Regierung integriert. Welche Strategie ist besser?
Am Dienstag hat der österreichische Bundespräsident Alexander Van der Bellen (80) den Auftrag zur Regierungsbildung an die zweitplatzierte ÖVP mit dem amtierenden Kanzler Karl Nehammer (52) vergeben. Die FPÖ, bei den Wahlen am 29. September mit knapp 29 Prozentpunkten Wahlsiegerin, bleibt draussen. Van der Bellen begründete seinen Entscheid damit, dass keine Partei mit dem FPÖ-Chef Herbert Kickl (56) zusammenarbeiten wolle und Österreich eine «handlungsfähige Regierung» brauche.
Das gleiche Szenario im deutschen Bundesland Thüringen: Weil niemand mit der Wahlsiegerin AfD zusammenarbeiten will, verhandeln zurzeit die Wahlverlierer CDU, das Bündnis Sahra Wagenknecht und die SPD über eine Koalition.
Unterschiedliche Erfahrungen
Andere Länder haben es allerdings gewagt, Rechtspopulisten in die Regierung zu holen. Die Erfahrungen sind unterschiedlich. In Finnland ist die rechte Finnenpartei und in den Niederlanden die Partei für die Freiheit des Rechtspopulisten Geert Wilders (61) in der Regierung vertreten. Nach anfänglichen Skandalen wegen Rassismus und Verbindungen zur rechtsextremen Szene hat sich die Situation mittlerweile etwas beruhigt.
Italien wird seit zwei Jahren von der postfaschistischen Ministerpräsidentin Giorgia Meloni (47) von den Fratelli d’Italia und ihrem Vize-Premier, dem Lega-Chef Matteo Salvini (51), regiert. Seit die beiden im Amt sind, wirkt das Land stabiler und bekennt sich klar zur EU.
Schlechter muss man Länder wie die USA, Brasilien und Ungarn bewerten. Der von 2017 bis 2021 amtierende US-Präsident Donald Trump (78) hat im Land für Chaos und Spaltung gesorgt, genauso wie Jair Bolsonaro (69), der von 2019 bis 2022 brasilianischer Staatspräsident war.
Seit in Ungarn der rechtskonservative Ministerpräsident Viktor Orbán (61) an der Macht ist, werden etwa die Pressefreiheit und die Rechte von Homosexuellen mit Füssen getreten.
Auch Österreich hat seine negativen Erfahrungen. So zerbrach die ÖVP/FPÖ-Koalition unter Kanzler Sebastian Kurz (38) 2021, nachdem FPÖ-Vizekanzler Heinz-Christian Strache (55) im ominösen Ibiza-Video Bereitschaft zur Bestechung gezeigt hatte.
Die Armut wächst
Die Politologen Adrian Vatter (59) und Rahel Freiburghaus (30) von der Universität Bern ziehen in einer Kolumne über rechtspopulistisch regierte Länder eine vernichtende Bilanz: «Wo Populisten regieren, sinken Wirtschaft und Konsum. Und es wächst die Schere zwischen Arm und Reich.» Laut dem American Economic Review liegt in diesen Ländern das reale Bruttoinlandsprodukt (BIP) 15 Jahre nach Regierungseintritt im Schnitt ganze zehn Prozent tiefer.
Jonathan B. Slapin (44), Europaexperte an der Universität Zürich, warnt: «Ich denke, dass die Gefahren, die mit der Einbindung von Radikalen in die Regierung verbunden sind, grösser sind, als wenn man sie ausschliesst.»
So bestehe die grösste Gefahr darin, dass rassistische und hypernationalistische Ansichten normalisiert würden und Wähler damit beginnen würden, die Rhetorik der extremen Rechten zu akzeptieren und sie auch zu verwenden. «Dinge, die zuvor tabu waren, sind es dann nicht mehr», meint Slapin.
Laut Teresa Völker (30), Extremismusexpertin am Wissenschaftszentrum Berlin für Sozialforschung, gerät in radikal regierten Staaten die Demokratie unter Druck. Völker sagt, auch mit Blick auf Italien, Finnland und die Niederlande, wo die Rechtspopulisten noch nicht lange an der Macht sind: «Die Freiheiten der Medien und der Zivilgesellschaft werden eingeschränkt, die Länder grenzen sich ab, Nationalismus nimmt zu und zentrale demokratische Werte wie Vielfalt und Teilhabe sind in Gefahr.»