Neue Details nach Nawalny-Tod
Häftlinge packen über Putins Polarwolf aus

Nur zwei Monate nach seiner Verlegung in die Strafkolonie Polarwolf hat der Putin-Kritiker Alexei Nawalny sein Leben verloren. Jetzt gibt es neue Details.
Publiziert: 26.02.2024 um 12:24 Uhr
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Aktualisiert: 26.02.2024 um 17:08 Uhr
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Das Straflager IK-3 in Charp. Putin-Kritiker Alexei Nawalny wurde Ende 2023 dort hingebracht. In den sozialen Medien in Russland kursieren Bilder der Kolonie.
Foto: keystone-sda.ch
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Johannes HilligRedaktor News

Alexei Nawalny (†47) überlebte einen Giftanschlag und den Knast in Russland. Dann wurde der prominente Putin-Kritiker in die Strafkolonie IK-3 in Charp am Polarkreis, den Polarwolf, gebracht. Zwei Monate nach seiner Verlegung folgte der plötzliche Tod. Die Meldung sorgte vor eineinhalb Wochen weltweit für Entsetzen. Die Todesumstände sind weiterhin unklar.

Nach Angaben von Nawalnys Team verweist die Sterbeurkunde auf eine «natürliche» Todesursache – was die Anhänger des Oppositionspolitikers zurückweisen. Das Team hat am Freitag Polizisten, Militärs und Mitglieder der Sicherheitsdienst aufgerufen, ihnen jede Information über den «Mord» mitzuteilen. Im Austausch «versprechen wir eine Belohnung von 20'000 Euro».

Klar ist: Der Polarwolf ist hart, die Bedingungen vor Ort sollen brutal sein. Es ist eisig kalt – bis zu minus 32 Grad. Und das nutzen die Wärter aus, um die Häftlinge zu quälen. Ein ehemaliger Insasse berichtete nach seinem Aufenthalt im Polarwolf: «Ich erinnere mich an diese Spaziergänge nur mit einem T-Shirt. Grausam.» Niemand würde versuchen, zu flüchten. Kein Wunder: Auf der einen Seite liegen Hunderte von Kilometern Tundra, auf der anderen die Berge des Polarurals. Wer wegläuft, läuft in den sicheren Tod.

«Es ist im Wesentlichen legalisierte Folter»

Nawalny hatte sich Anfang Januar noch über die Spaziergänge lustig gemacht. «Heute bin ich spazieren gegangen, habe gefroren und an Leonardo DiCaprio und seinen Trick mit dem toten Pferd in ‹The Revenant› gedacht», schrieb er am 9. Januar. In dem Film kriecht Schauspieler DiCaprio (49) in einen noch warmen Tierkadaver, um nicht zu erfrieren. Der Putin-Kritiker versuchte offenbar, sich die Qualen im Polarwolf nicht anmerken zu lassen. Dabei sind Misshandlungen an der Tagesordnung. Immer wieder sollen die Häftlinge mit Schlägen und Elektroschocks traktiert werden.

Und nicht nur das: «Die Häftlinge bekommen fast nichts zu essen. Es ist Folter mit dem Hunger», sagte die russische Friedensnobelpreisträgerin und Mitgründerin der Menschenrechtsorganisation Memorial, Irina Scherbakowa (75), in der ARD-Sendung «Maischberger». Wenn Nawalny etwas Wasser zum Trinken bekam, war es kochend heiss. Er musste es offenbar auf Ex trinken. Ein Anwalt, der anonym bleiben will, zur «Sun»: «Die Bedingungen dort sind extrem hart, es ist im Wesentlichen legalisierte Folter.»

Ein Verurteilter berichtete, wie Neuankömmlinge «begrüsst» würden: «Wenn die Gefangenen die Kolonie betreten, werden sie in das Badehaus gebracht. Wenn eine Person sich auszieht und sich waschen will, wird das Wasser abgestellt und maskierte Personen kommen herein und beginnen, dich zu schlagen.» Rund 15 Personen – Häftlinge wie Angestellte – hätten eine halbe Stunde auf ihn eingedroschen, so der Ex-Gefangene.

Wer sich beschwert, kommt in den Eiskäfig

Der ukrainische Filmemacher Oleg Senzow, der in einer nahe gelegenen Kolonie inhaftiert war, sagte: «In der Sekunde, in der du die Schwelle überschreitest, machen sie dir klar, dass du im Fegefeuer angekommen bist.» Man habe keine Rechte. Deswegen sei es sinnlos, sich zu beschweren. Wer gegen die Regeln verstosse oder versuche, sich gegen die Misshandlungen zu wehren, werde in einen Käfig gesperrt und die ganze Nacht dort gefangen gehalten.

Gerade in der Nacht wird es nochmals kälter. Nicht alle Insassen würden das überleben. Wenn ein Häftling dann stirbt, würden die Wärter den Leichnam zur Krankenstation bringen und behaupten, dass es ein natürlicher Tod gewesen sei. Herzversagen im Schlaf. Das berichten ehemalige Gefangene. Wenn der Winter und die eisigen Temperaturen vorbei sind, würden Mücken und Läuse das Lager heimsuchen. Es sei einfach nur grausam.

Regelmässig machte sich Nawalny trotz der harten Bedingungen in seinen Beiträgen auch über die Routinen im Gefängnis lustig. Am 22. Januar berichtete er, dass die Gefangenen jeden Morgen um 5 Uhr mit der russischen Nationalhymne geweckt würden. Das zweitwichtigste Lied sei «Ja Russkij» (zu Deutsch: Ich bin ein Russe) des kremltreuen Künstlers Shaman (32). Zuletzt meldete sich der Kreml-Kritiker am Valentinstag zu Wort – mit einer Liebesbekundung an seine Frau Julia Nawalnaja (47). Kurz darauf folgte die Meldung über seinen plötzlichen Tod.

Alle Infos zum Tod von Alexei Nawalny findest du in unserem Ticker.

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