Lange war sie vor allem die starke Frau an der Seite des prominenten Kreml-Kritikers Alexei Nawalny (†47) – nach dessen Tod will Julia Nawalnaja (47) nun selbst sein Vermächtnis weiterführen. «Ich werde weiter für die Freiheit unseres Landes kämpfen», versprach die Witwe des russischen Oppositionspolitikers am Montag in einer Videobotschaft. Sie rief die Anhänger ihres Mannes auf, sie dabei zu unterstützen.
«Das Wichtigste, was wir für Alexei und für uns selbst tun können, ist, weiterzukämpfen, verzweifelter und erbitterter als bisher», sagte Nawalnaja. Der Gegner: der russische Präsident Wladimir Putin (71). Ihm warf sie vor, für den Tod ihres Mannes verantwortlich zu sein. Putin habe Nawalny «umgebracht», sagte sie.
Hoffnung auf ein «besseres Russland»
Schon Nawalnajas erster Auftritt nach dem Tod ihres Mannes hatte beeindruckt: Wenige Stunden, nachdem die russischen Behörden bekanntgegeben hatten, dass der 47-Jährige in einem Straflager am Polarkreis gestorben war, trat die Witwe am Freitag bei der Münchner Sicherheitskonferenz ans Mikrofon.
Eigentlich hätte Nawalnaja bei der Sicherheitskonferenz über die Hoffnung auf ein «besseres Russland» sprechen sollen, doch die Nachricht vom Tod ihres Mannes änderte alles. Statt nach Hause zu fliegen, entschloss sie sich nach eigenen Worten zum Bleiben – sie sei sicher, dass ihr Mann das Gleiche getan hätte.
«Wenn das wahr ist, will ich, dass Putin, sein Personal, sein gesamtes Umfeld, seine gesamte Regierung, seine Freunde wissen, dass sie bestraft werden für das, was sie unserem Land, meiner Familie und meinem Mann angetan haben», sagte sie Frau mit bebender Stimme. «Und dieser Tag wird sehr bald kommen.»
«Er war sofort der Meinung, dass ich seine Frau werden sollte»
Nawalnaja studierte Wirtschaft in Russland und arbeitete für eine Bank in Moskau. 1998 lernte sie dann einen jungen Anwalt namens Alexei Nawalny in einem Ferienort in der Türkei kennen. «Er war sofort der Meinung, dass ich seine Frau werden sollte», sagt sie. Und tatsächlich: Zwei Jahre später heiratete das Paar.
Kurz darauf kam die gemeinsame Tochter Daria Nawalnaja (23) auf die Welt, und die Ökonomin zog sich schliesslich aus der Berufswelt zurück, um sich der Familie zu widmen. Und um ihren Mann und den Kampf für ein freies Russland zu unterstützen. Sie agierte im Hintergrund, half ihm so gut wie in allen Bereichen. Was er plante, was er sagte und was er trug, darüber tauschte er sich mit seiner Frau aus.
«Nichts ist schwierig, wenn man liebt»
An der Seite von Alexei Nawalny erlebte Julia Nawalnaja die Hoffnung, welche die von ihrem Mann initiierten Grossdemos in Russland verbreiteten. Sie brachte ihren Mann im Jahr 2020 zur Behandlung nach Deutschland, nachdem er vergiftet wurde und tagelang zwischen Leben und Tod geschwebt war. Sie war bei ihm, als Nawalny wenige Monate später und kaum wiederhergestellt hoch erhobenen Hauptes nach Russland zurückflog und dort direkt nach der Landung verhaftet wurde.
Obwohl die russischen Behörden ihren Mann in diversen Prozessen zu 19 Jahren Lagerhaft verurteilten und trotz der schlimmen Haftbedingungen, unter denen er festgehalten wurde, gab die 47-Jährige die Hoffnung nicht auf. Sie glaube daran, ihren Mann wieder in Freiheit zu sehen, sagte Nawalnaja im vergangenen Jahr dem «Spiegel»: «Nichts ist schwierig, wenn man liebt.»
Leben in der Öffentlichkeit
Nawalny selbst sagte über seine Frau, ohne sie hätte er seinen erbitterten Kampf gegen den Kreml und Staatschef Putin nicht durchgehalten. Seine letzte öffentliche Botschaft war ein Gruss an sie zum Valentinstag, in dem er schrieb: «Ich fühle, dass du mir in jeder Sekunde nahe bist.»
Im Gegensatz zu Putin, dessen Privatleben in Russland als Staatsgeheimnis behandelt wird, zeigte das Ehepaar Nawalny sich und seinen Alltag öffentlich. Julia Nawalnaja wurde so mit der Zeit ebenso eine Person des öffentlichen Lebens wie ihr Mann.
Mitstreiter Nawalnys träumten gar von einer Zukunft Nawalnajas als Politikerin, schon bevor Nawalny selbst hinter Gittern sass. Sie selbst wies das von sich und betonte, sie sei vor allem Mutter und Ehefrau.
Nach der Landung getrennt
Nachdem Nawalny im August 2020 in Sibirien mit dem Nervengift Nowitschok vergiftet wurde und ins Koma fiel, kämpfte Julia Nawalnaja darum, dass ihr Mann in Deutschland statt in Russland behandelt wird. Tagelang weigerten sich die russischen Ärzte, doch schliesslich gelang es, Nawalny nach Berlin auszufliegen. «In jedem Augenblick habe ich gedacht, ‹ich muss ihn hier rausholen›», berichtete Nawalnaja später.
Fünf Monate später zeigte sie erneut Stärke, als das Paar nach Moskau zurückkehrte – wohl wissend, dass die Reise im Gefängnis enden würde. «Kellner, bringen Sie uns Wodka, wir fliegen nach Hause», sagte Nawalnaja während des Fluges und zitierte damit eine Zeile aus einem russischen Kult-Film. Nach der Landung, an der Passkontrolle, wurde das Paar getrennt und sah sich danach nicht mehr in Freiheit wieder. Eine Menschenmenge empfing Nawalnaja damals vor dem Flughafen mit «Julia!»-Rufen.
Nach dem Tod von Alexej Nawalny fragen sich viele, wer ausser Julia Nawalnaja die durch zahllose Festnahmen dezimierte oder ins Exil getriebene russische Opposition als Führungsfigur hinter sich vereinen könnte. Für die Politologin Tatjana Stanowaja ist klar: «Ob Julia Nawalnaja will oder nicht – sie wird zu einer politischen Persönlichkeit.» Am Montag nahm Nawalnaja an einem Treffen der EU-Aussenminister in Brüssel teil. (AFP/jmh)