Nawalny tot, Putin im Hoch
Das Versagen des Westens

Vor den Augen der Welt räumt Putin Gegner aus dem Weg. Seine Armee erzielt Geländegewinne in der Ukraine. Der militärisch überlegene Westen scheint impotent.
Publiziert: 03.03.2024 um 09:08 Uhr
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Aktualisiert: 03.03.2024 um 11:03 Uhr
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Weltweite Trauer: Nawlanys Leichnam am Freitag in Moskau.
Foto: keystone-sda.ch
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Reza RafiChefredaktor SonntagsBlick

Dieses Bild geht um die Welt: Trauernde nahmen am Freitag in Moskau Abschied von Alexei Nawalny († 47). Der Dissident und Hoffnungsträger der russischen Demokratiebewegung ist vorletzte Woche im sibirischen Straflager verstorben – wegen eines «Blutgerinnsels», wie die Behörden zunächst mitteilten.

Das internationale Entsetzen ist gross, doch wird das Werweissen über Nawalnys Märtyrerstatus und seine postume Gefahr für die Moskauer Führung den Präsidenten Wladimir Putin (71) kaltlassen. Einer von dessen lästigsten Gegnern ist tot. Der politische Mord ist das endgültige, das ultimative Instrument der Machterhaltung, von dem der Kreml-Herrscher in seiner Amtszeit mutmasslich immer wieder Gebrauch gemacht hatte.

Es ist ein perverser Aspekt der jüngeren Weltgeschichte, dass der Westen, der die potentesten Streitkräfte vereinigt, die je auf dem Erdball stationiert waren, in einer dröhnenden Machtlosigkeit gegenüber dem Despoten in Moskau erstarrt. Putins Blechkistenarmee erzielt psychologisch wichtige Geländegewinne in der Ukraine, während Kiew dabei ist, den Krieg zu verlieren.

Moskaus Taktik des längeren Atems scheint derzeit aufzugehen. Wolodimir Selenski (46) war noch nie so einsam wie seit dem russischen Überfall vor zwei Jahren. Sein forsches Auftreten gegenüber seinen Verbündeten vermag nicht auszureichen, um die bedrängte ukrainische Armee mit genügend Nachschub zu versorgen.

Trotz faktischer Übermacht am kürzeren Hebel

In diese Drangsal passt ein zerstrittener Westen – Bundeskanzler Olaf Scholz (65) und Emmanuel Macron (46) streiten öffentlich über ihre Ukraine-Politik. Der französische Präsident denkt öffentlich über den Einsatz von Bodentruppen nach, sein deutscher Kollege hingegen muss sich gerade wegen einer Lauschattacke der Russen erklären: Der Kreml hörte deutsche Offiziere beim Gespräch über einen Angriff auf die Krim ab. Genüsslich verbreitete Russland das Material, und das Narrativ vom Westen als Kriegstreiber wird bestens gefüttert.

Es ist wieder so einer der vielen kleinen Propagandasiege Putins. Ihn verbindet etwas mit den Terroristen, Diktatoren und Kriegsfürsten der Welt: Sie kennen nur eine Richtung, die ihnen nützt – die Eskalation.

Inmitten dieses Fiebertraums versucht sich die Schweiz als Vermittlerin. Bundespräsidentin Viola Amherd (61) liess sich in Davos GR von Selenski zur Idee eines Friedensgipfels hinreissen. Ursprünglich auf Ende März angesetzt, soll der Anlass nun irgendwann im Sommer stattfinden. Aussenminister Ignazio Cassis (62) pilgert derweil unermüdlich zu den Grossmächten, weil der Bundesrat weiss, dass eine Ukraine-Konferenz nur dann Resultate und damit Prestige bringt, wenn alle wichtigen Player mitmachen. Im Moment ist man an China dran, das sich noch ziert. Und in weiter Ferne ist eine Teilnahme Russlands. Das ist die Conditio sine qua non, die zwingende Bedingung für eine echte Lösung.

Putin ist sich dessen bewusst. Der Westen sitzt trotz seiner faktischen Übermacht am kürzeren Hebel. Und Alexei Nawalny ist tot.

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