Zwei Brüder eröffneten am Donnerstag an einer Bushaltestelle in Jerusalem das Feuer. Mindestens drei Personen kamen beim Attentat ums Leben. Laut Polizei wurden die beiden Angreifer «schnell von zwei Soldaten, die nicht im Dienst waren, und einem Zivilisten durch Schüsse getötet».
Nur wenige Stunden später bekannte sich die Terrororganisation Hamas zu den Angriffen. Dieser sei «eine natürliche Antwort auf die beispiellosen Verbrecher der Besatzer im Gazastreifen», heisst es. Gleichzeitig ruft die Organisation zur «Eskalation des Widerstands» auf. Das bedeutet die Tat für den Krieg im Nahen Osten.
Wieso greift die Hamas ausgerechnet jetzt Jerusalem an?
Die Hamas erklärt, dass der Anschlag eine Reaktion auf einen Vorfall in Dschenin im Westjordanland gewesen sei. Dort soll die israelische Armee Kinder im Zusammenhang mit einem Militäreinsatz getötet haben. Jan Busse, Experte für Israel und Palästina an der Universität der Bundeswehr in München, erklärt gegenüber Blick: «Über die tatsächlichen Gründe für den Zeitpunkt des Anschlags lässt sich aktuell nur spekulieren.»
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In Jerusalem war die Situation in den vergangenen Wochen sehr angespannt. Jerusalem ist seit jeher einer der grossen Streitpunkte im Konflikt zwischen Israel und den palästinensischen Gebieten. Seit 1967 besetzt Israel laut Busse Ost-Jerusalem, wo vor allem palästinensische Bürger leben. Durch die rechte Regierung unter dem israelischen Premierminister Benjamin Netanyahu (74) hat sich die Situation noch verschärft – der Konflikt zwischen Israelis und Palästinensern in der Region wird weiter geschürt.
Was bedeutet dieser «Aufruf zur Eskalation» der Hamas?
Laut Busse könnte es durchaus zu einer weiteren Eskalation des Konflikts kommen. «Seit dem Überfall vom 7. Oktober setzt die Hamas darauf, dass die Lage auch jenseits des Gazastreifens eskaliert», erklärt er. «Sowohl im Westjordanland und in Jerusalem als auch auf regionaler Ebene, insbesondere durch die Hisbollah im Libanon.»
Gerade im Westjordanland ist die Situation derzeit extrem angespannt, da es eine massive Zunahme an Gewalt durch israelische Siedler in der Region sowie eine Verhaftungswelle gegeben hat.
Hinzu komme laut Busse, dass seit dem 7. Oktober im Westjordanland 238 Palästinenser getötet wurden. Ein weiterer Grund für die Terrororganisation Hamas, mit dem sie das Attentat in Jerusalem zu rechtfertigen versucht. «Diese Gemengelage ist explosiv, und es könnte auch im Westjordanland zu einer weiteren Eskalation kommen.»
Und was bedeutet es für die Waffenruhe?
Der Angriff erfolgte kurz nach der Verlängerung der seit Freitag geltenden Feuerpause im Krieg zwischen Israel und der Hamas. Wird dies nun durch diesen Angriff sabotiert? «Mein Eindruck ist, dass Israel den Anschlag in Jerusalem getrennt von der Vereinbarung mit der Hamas über die Freilassung der Geiseln betrachtet», sagt Busse.
Schliesslich weiss die israelische Regierung, was auf dem Spiel steht. Die israelische Regierung ist innenpolitisch unter starken Druck geraten, Fortschritte bei der Rückführung der Geiseln zu erzielen. Die Familien der Geiseln starteten eine Kampagne unter dem Motto «Bringt sie nach Hause». Ein Beenden des Geisel- und Gefangenenaustauschs wäre politisch also fatal.
Einen Grund für das mögliche Scheitern der Waffenruhe sieht Experte Busse woanders: «Sollte es zu einem Scheitern der Waffenruhe kommen, wird dies weniger das Ergebnis des Anschlags sein als vielmehr aus Detailfragen über die Rahmenbedingungen der Vereinbarung resultieren.»
Wie viele Geiseln befinden sich noch in Gewalt der Hamas?
Tatsächlich hat die Hamas noch am Donnerstagmittag zwei weitere israelische Geiseln in die Obhut des Internationalen Roten Kreuzes gegeben.
Im Rahmen dieser Waffenruhe hat die Hamas bisher mehr als 80 der rund 240 Geiseln freigelassen, die sie nach israelischen Angaben bei ihrem Angriff auf Israel am 7. Oktober in ihre Gewalt gebracht hat. Im Gegenzug hat Israel 180 palästinensische Gefangene freigelassen.