An zahlreichen Frontabschnitten dauern die Kämpfe zwischen der Ukraine und Russland weiter an. Während Russland im Norden seine Präsenz verstärkt, gelingt der Ukraine im Osten vermehrt der Durchbruch. Allerdings haben beide Parteien ein grosses Problem: das Personal. Blick erklärt den aktuellen Stand.
Ukrainischer Erfolg im Osten
Am Wochenende vermeldet die ukrainische Armee die Rückeroberung des strategisch wichtigen Orts Klischtschijiwka in der Oblast Donezk, im Osten des Landes. «Ich kann bestätigen, dass das dank der Anstrengungen der 80. Luftsturmbrigade, der 5. Sturmbrigade und der vereinigten Brigade der Nationalen Polizei «Ljut» («Wut») gelungen ist», zitierte die Zeitung «Ukrajinska Prawda» am Sonntag den Sprecher der Heeresgruppe Ost, Ilja Jewlasch.
Das verschiebt die Fronten im Osten weiter. In der Region Saporischschja geraten die russischen Truppen gemäss Einschätzung internationaler Experten immer weiter unter Druck. Laut dem täglichen Geheimdienstbericht des Verteidigungsministeriums in London zum Ukraine-Krieg soll Russland die Truppen vor Ort nun mit Luftlandetruppen verstärkt haben.
Demnach wurden mindestens fünf Regimenter im Umkreis mehrerer Kilometer um das Dorf Robotyne an der Front zusammengezogen. «In voller Stärke sollte eine solche Einheit aus etwa 10'000 Elite-Fallschirmjägern bestehen. Beinahe alle Einheiten sind aber mit grosser Wahrscheinlichkeit dramatisch unterbesetzt», hiess es in der Mitteilung des Verteidigungsministeriums in London.
Bei Robotyne durchbrachen die Ukrainer zuvor eine verminte und befestigte russische Verteidigungslinie.
Mittlerweile haben die Ukrainer an mehreren Orten die zweite Verteidigungslinie ins Visier genommen. Die Kämpfe sind hart, denn die Russen haben sich in ihren Stellungen förmlich eingegraben. Doch hinter der zweiten Verteidigungslinie steht gemäss Einschätzung der Ukrainer nicht mehr viel. «Russland hat die grösste Anstrengung in den Aufbau der ersten Linie gesteckt, und von dort aus immer weniger», sagte der ukrainische Brigadegeneral Oleksandr Tarnawskij vor zwei Wochen gegenüber dem britischen «The Guardian».
Russischer Druck im Nordosten
Dafür erhöht das russische Militär den Druck weiter nordöstlich. Im Grossraum Kupjansk nahe Charkiw habe das russische Militär den Druck in der Gegend erhöht und rund 10'000 Soldaten stationiert, berichtet auch die US-Denkfabrik Institute For The Study Of War (ISW) vor einigen Tagen. Geodaten würden demnach zeigen, dass russische Truppen nahe Sinkiwa, rund zehn Kilometer nordöstlich von Kupjansk, einiges an Boden gutmachen konnten.
Militär-Oberst Markus Reisner sagt gegenüber der «Welt», Russland konzentriere sich bei den Kämpfen rund um Kupjansk vor allem auf ein Ziel: Den Fluss Oskil. Von dort aus solle es dann zu den Städten Isjum und Slowjansk weitergehen, zwei Knotenstädte im Osten des Landes.
Die ukrainische Armee hat bereits angekündigt, als Gegenmassnahme ihre Präsenz in der Region zu verstärken.
Personalmangel auf beiden Seiten
Nach eineinhalb Jahren Krieg ist immer wieder von Personalengpässen die Rede, vor allem auf russischer Seite. Aber auch die Ukrainer mussten bereits ihre Elite-Brigaden mobilisieren, um strategisch wichtige Orte zu erobern. Zudem wurde ein Teil der Reserven mobilisiert.
Der amerikanische Militärexperte Rob Lee sagt, dass die Verfügbarkeit von Personal nun der kritische Faktor sei. «Es ist unklar, wie viel Zermürbung beide Seiten im letzten Monat erlitten haben, aber das wird wahrscheinlich bestimmen, wie weit die Ukraine vorrücken kann», schreibt er auf X, ehemals Twitter.
In den vergangenen Monaten wurden auf beiden Seiten Zehntausende Soldaten getötet oder verletzt. Wie viele Verluste es auf beiden Seiten gibt, ist unabhängig nicht verifizierbar. Laut US-Militärangaben dürften aber zusammengezählt inzwischen rund eine halbe Million Truppen getötet oder verletzt worden sein, berichtete die «New York Times» Ende August.