Die ukrainische Gegenoffensive hat nach Startschwierigkeiten an Fahrt aufgenommen. Laut den beiden Militäranalysten Michael Kofman und Rob Lee haben die Ukrainer das Momentum auf ihrer Seite, wie «Focus» schreibt. Beinahe täglich befreien die ukrainischen Truppen Dorf um Dorf und rücken immer weiter nach Osten vor – sehr zum Ärger der russischen Truppen.
Diese versuchen mit aller Kraft, den Fortschritt der Ukrainer zu verlangsamen, schreibt «Focus». Worauf Russland jetzt setze, sei das strategische Konzept der «aktiven Verteidigung», das Oberbefehlshaber Waleri Gerassimow implementiert habe, so die beiden Experten. Das besteht aus einer Mischung aus Verteidigungsmanövern und Gegenangriffen.
Russland will Gegenoffensive stoppen
Heisst: Die russische Militärführung rotiert die Truppen an der Front regelmässig, um abwechselnd Offensiv- und Defensivoperationen durchzuführen. Die Verzweiflung der Russen in der Ukraine geht sogar so weit, dass Truppen aus Kupjansk und anderen Regionen abgezogen wurden, um die Männer an der Front zu unterstützen.
Dass Russland sich zunehmend auf die Verteidigung konzentriere, sieht auch die militärische Führung der Ukraine. «Die grundlegende Aufgabe der Russen ist momentan, die Kampfhandlungen für mindestens vier bis fünf Monate herunterzufahren», schreibt Mychajlo Podoljak (51), Berater des ukrainischen Präsidenten Wolodimir Selenski (45), am Donnerstag auf X, ehemalig Twitter.
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Wie das gelingen soll? Das Ziel der Russen ist es, die Intensität der ukrainischen Angriffe drastisch zu verringern, damit die Gegenoffensive zum Erliegen kommt. Das sei laut den beiden Experten Kofman und Lee wichtig für Russland, denn: Russland möchte den Stellungskrieg dafür nutzen, möglichst viele Reserven und Truppen an die Front zu manövrieren.
Putin hofft auf «Koalition der Kriegsmüden»
Ausserdem hoffe Russland noch immer auf einen langen Krieg – denn dieser würde dem Aggressor in die Hände spielen, sind sich Kofman und Lee einig. Oder in den Worten von Berater Podoljak: Russland versucht, eine «Koalition der Kriegsmüden» aufzustellen.
Denn je länger der Krieg andauert, desto wahrscheinlicher ist es, dass Alliierte der Ukraine ihre Unterstützung herunterfahren oder gar ganz einstellen. So zumindest die Hoffnung von Kremlchef Wladimir Putin (70) und seiner Militärführung.
Aber während Putin auf die einsetzende Kriegsmüdigkeit hofft, versucht Kiew den Krieg so schnell wie möglich erfolgreich zu beenden. Denn: «Jede Pause wird zwangsläufig zu einer weiteren Eskalation führen», schreibt Podoljak. «Es ist wichtig, zu erkennen, dass nur militärische Niederlagen Russlands in den besetzten Gebieten zu einer realistischen Aussicht auf Frieden führt.» (chs)