Nach der Flutkatastrophe muss die Ukraine ihre Gegenoffensive neu überdenken
Volle Kraft Richtung Osten

Trotz Sprengung des Staudammes von Kachowka lässt sich die ukrainische Armee nicht bremsen. Da ein Übersetzen des Dnjepr vorläufig kaum möglich ist, wird sie ihre Gegenoffensive wohl im Osten des Landes intensivieren.
Publiziert: 07.06.2023 um 17:01 Uhr
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Aktualisiert: 07.06.2023 um 21:11 Uhr
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Die Ukrainer haben mit der Gegenoffensive begonnen.
Foto: Anadolu Agency via Getty Images
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Guido FelderAusland-Redaktor

Die Sprengung des Damms bei Nowa Kachowka hat massiven Schaden angerichtet. Die Fluten des auslaufenden Stausees haben viele ukrainische Ortschaften unter Wasser gesetzt. Tausende Menschen verloren ihr Hab und Gut. Noch immer ist unklar, wer die Täter sind.

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Mutmassliche Sabotage:Video zeigt Explosion bei Kachowka-Damm

Für Kiew steht fest, dass der Kreml das Attentat ausführen liess, um das Übersetzen der ukrainischen Truppen und so die Gegenoffensive zu verhindern. Der ukrainische Präsident Wolodimir Selenski (45) allerdings sieht die Gegenoffensive nicht in Gefahr. Am Dienstag sagte er in einer Videobotschaft: «Die von russischen Terroristen verursachte Katastrophe im Wasserkraftwerk Kachowka wird die Ukraine und die Ukrainer nicht aufhalten.»

Hat die Ukraine eine Überraschung parat?

Nur, wie will er die Offensive jenseits des Flusses fortsetzen? Ein Übersetzen des nun noch breiteren Flusses ist zwar nicht ganz unmöglich, zumal Deutschland der Ukraine den Brückenlegepanzer Biber geliefert hat, der auch Kampfpanzer tragen kann.

Militärexperte Ralph D. Thiele (69) vom Institut für Strategie-, Politik-, Sicherheits- und Wirtschaftsberatung (ISPSW) in Berlin gibt aber zu bedenken: «Der durch das überflutete Gebiet zusätzlich verbreiterte Fluss ist nur unter Gefahr zu überqueren. Zudem wird durch den steigenden Grundwasserspiegel das umliegende Gelände ohnehin für die schweren Panzer unüberwindbar.»

Der ukrainischen Armee biete sich auch keine geeignete Ausweichoption an, um ans andere Ufer zu gelangen, meint Thiele. «Wenn es diese gibt, wären sie ein wichtiges Überraschungselement.»

Offensive an andern Orten

Thiele meint daher, dass die ukrainische Armee ihre Gesamtplanung für die Gegenoffensive neu aufsetzen müsse. «Sie muss den Schwerpunkt jetzt auf den Osten verlagern.» Da gelte es, durch eine Umgehung der russischen Verbände möglichst viel besetztes Gebiet zurückgewinnen und einen Keil in die besetzten Gebiete treiben.

«Ja, die Sprengung des Damms ist ein Kriegsverbrechen»
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Thiele geht davon aus, dass die Ukrainer Ansätze testeten und dann jenen Weg wählten, der am meisten Erfolg verspreche. Thiele: «Die Erfahrung lehrt, dass man sich auf überraschende Entwicklungen vorbereiten muss.»

Druck auf Ukraine wächst

Auf jeden Fall müsse die Ukraine die Gegenoffensive durchziehen, meint Thiele. Denn eine erfolgreiche Gegenoffensive könnte Putins Verhandlungsbereitschaft fördern und ihn dazu veranlassen, nach einem gesichtswahrenden Friedensabkommen zu suchen.

Auf der andern Seite könnte eine gescheiterte Offensive die westlichen Verbündeten dazu veranlassen, an einem Sieg der Ukraine zu zweifeln und sie zu einem Waffenstillstand zu drängen. Erst recht, seit der Anschlag auf die Nordstream 2 wieder an Aktualität gewonnen habe. Thiele: «Sofern die derzeit kursierenden Berichte zur ukrainischen Urheberschaft des Anschlags auf die Gas-Pipeline zutreffen, wächst der diesbezügliche Druck absehbar in nächster Zeit an.»

80 Ortschaften betroffen

Der Staudamm bei Nowa Kachowka war am Dienstag zerstört worden, worauf der 18 Milliarden Kubikmeter Wasser fassende See auszulaufen begann. 80 Ortschaften liegen in der Gefahrenzone. In den überfluteten Ortschaften stieg auch am Mittwoch das Wasser weiter an. Menschen brachten sich watend im Wasser in Sicherheit. Rettungskräfte trugen ältere Menschen, die nicht laufen können, ins Trockene.

Experten des US-Instituts für Kriegsstudien (ISW) in Washington gehen angesichts der Beweise und der Argumente davon aus, dass Russland den Staudamm absichtlich zerstört hat. Zugleich weisen sie darauf hin, dass eine endgültige Bewertung der Verantwortung derzeit nicht möglich sei.

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