Militärexperte Marcus Keupp überrascht mit Ukraine-Prognose
«Wenn es so weitergeht, wird Russland den Krieg verlieren»

ETH-Militärökonom Marcus Keupp vergleicht die Situation im Frühling 2025 mit der Schlussphase des Zweiten Weltkriegs. Mit den Nazis habe man nicht verhandelt – und genauso wenig solle man jetzt mit Putin verhandeln, fordert er im Blick-Interview.
Publiziert: 15.04.2025 um 16:59 Uhr
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Aktualisiert: 08:26 Uhr
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Putin vermeldet auf dem Schlachtfeld Erfolge. Aber: Der Eindruck, dass die Russen in der Ukraine vor dem Sieg stehen, täuscht, so Militärexperte Keupp.
Foto: Corinne Glanzmann

Darum gehts

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Samuel SchumacherAusland-Reporter

Marcus Keupp (47) bildet als Militärökonom Schweizer Berufsoffiziere an der Militärakademie an der ETH Zürich aus. Im Interview mit Blick warnt er eindringlich vor Verhandlungen mit Wladimir Putin (72), benennt die konkreten Kriegsgefahren für die Schweiz, äussert sich zur Theorie, Donald Trump (78) sei ein russischer Agent und betont: «Russland wird diesen Krieg verlieren, wenn es so weiter geht.»

Blick: Herr Keupp, wird es in der Ukraine je einen Waffenstillstand geben?
Marcus Keupp: Das halte ich für ziemlich unrealistisch. Ernsthafte Bemühungen, die Kampfhandlungen einzustellen, kann ich auf russischer Seite nicht erkennen. Putin will die totale Unterwerfung der Ukraine. Erst dann wird er verhandeln.

Russland verliert mehr als 1000 Soldaten pro Tag. Wie lange kann sich Putin das noch leisten?
Russland mobilisiert unaufhörlich weiter. Und die Zahlungen an die «Mobiks», die sich freiwillig zum Kriegsdienst melden, sind in astronomische Höhen geklettert. Wer die sechs Monate an der Front überlebt, kann zum Rubelmillionär (Anm.: ca. 10'000 Franken) werden. Nur: Die Wahrscheinlichkeit, dass sie überleben, ist gering.

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«Mit Putin darf man nicht verhandeln», sagt ETH-Militärökonom Marcus Keupp. Auch mit den Nazis habe man damals glücklicherweise nicht verhandelt, obwohl es entsprechende Überlegungen gegeben habe. (Das Graffiti in London stellt Putin in einer Nazi-Uniform dar.)
Foto: AFP

Im Donbass herrscht faktisch Stillstand. Hat eine der beiden Seiten überhaupt noch Chancen auf einen Durchbruch?
Wenn es so weitergeht, wird Russland den Krieg verlieren. An der Front stehen rund 500'000 russische Soldaten. Die Ukraine produziert jährlich rund zwei Millionen Drohnen, also vier Drohnen pro Angreifer. Wenn man das mit Künstlicher Intelligenz koordiniert, dann kann die Ukraine eine Drohnenmauer errichten, durch die die Russen nicht mehr durchkommen. Heute schon sind sie diesen Drohnen zusehends ausgesetzt, da ihnen die gepanzerten Fahrzeuge ausgehen. Die russischen Soldaten bewegen sich teils auf Elektroscootern im Frontgebiet.

Kann die Ukraine die verlorenen Gebiete zurückerobern?
Eine Grossoffensive wäre viel zu teuer: menschlich und materiell. Aber die Ukraine kann die russische Naschschubversorgung behindern, bis den Russen an bestimmten Stellen das Kampf-Material ausgeht und die Front kollabiert. Genau das versuchen sie derzeit an verschiedenen Frontabschnitten. Der Krieg kann noch lange so weitergehen.

Foto: Corinne Glanzmann

Welche Folgen hätte es, wenn Putin im Rahmen von Verhandlungen ukrainische Gebiete zugesprochen würden?
Mit Putin darf man nicht verhandeln. Wer jetzt Verhandlungen mit Russland fordert, ist ein Pseudo-Humanist. Diese Menschen behaupten, sie hätten ganz selbstlos nur das Leben der armen Soldaten auf beiden Seiten im Sinne. Sie vergessen dabei eines: Die Folge von Verhandlungen wäre, dass Putin für seine Aggression belohnt wird; obwohl er Tausende ukrainische Kinder entführt hat; obwohl er Hunderttausende ukrainische Bürger getötet und russifiziert hat. Bei den Nationalsozialisten hiess das «Umvolkung». Mit den Nazis hat man damals glücklicherweise auch nicht verhandelt.

Man hat sie militärisch zerschlagen und sie dann zur Kapitulation gezwungen ...
... und das, obwohl es auch 1944 in den USA noch Stimmen gab, die sagten: «Wollen wir da wirklich so viele Soldaten reinwerfen? Ach komm, lass uns mit diesem Hitler reden. Soll der doch Europa kriegen.» Es gab damals und gibt heute noch immer so einen Typ Mensch, der denkt, dass Hitler oder Putin gar nicht so falschliegen, dass die doch auch gedemütigt worden seien, dass die sich doch auch wehren dürfen. Wer das sagt, ist moralisch verrottet.

Wie soll der Krieg denn ohne Verhandlungen enden?
Wenn Putin in den Verhandlungen auch nur geringe Zugeständnisse erhält, würde das ein fatales Signal aussenden: Angriffskrieg lohnt sich wieder. Viele könnten sagen: Gebiet XY gehörte früher mal mir, das hole ich mir wieder. Ein Beispiel: Ungarn war mal deutlich grösser als heute. Warum sollte Orban nicht sagen: Da, wo grosse ungarische Minderheiten in der Slowakei oder Rumänien leben, das ist jetzt wieder unser Gebiet.

Ex-KGB-Agent Putin sei Ex-Immobilien-Tycoon Trump «intellektuell und taktisch weit überlegen», sagt ETH-Militärökonom Marcus Keupp.
Foto: Getty Images

Sehen Sie diese Gefahr auch für die Schweiz?
Ja, auch neutrale Staaten wie die Schweiz könnte das jederzeit treffen. All jene, die jetzt poltern, es zähle ja eh heute schon nur das Recht des Stärkeren, die dürften sich noch wundern, was mit ihnen passiert, wenn das regelbasierte System erstmal ausser Kraft gesetzt ist.

Trump verspricht, den Krieg «sehr bald» zu beenden. Trauen Sie ihm das zu?
Trump glaubt, er sei der grosse Deal-Maker. Putin ist ihm intellektuell und taktisch allerdings weit überlegen: Er macht pro forma irgendwelche Versprechungen, aber in Wirklichkeit macht er genauso weiter wie bisher.

Vergangene Woche schickte Trump seinen Putin-Verhandler Steve Witkoff erneut nach Moskau. Witkoff konnte jüngst nicht einmal die vier ukrainischen Provinzen aufzählen, die Russland annektiert hat. Was sagt Ihnen das über Trumps Verhandlungsstrategie?
Trumps System funktioniert ironischerweise ganz ähnlich wie das System Putin. Es zählt nicht Kompetenz, es zählt Loyalität. Trumps Administration besteht nur noch aus Ja-Sagern und Speichelleckern. Auch Trump und der Immobilienunternehmer Witkoff kennen sich schon lange. Witkoff hat nicht die geringste Ahnung von Russland oder der Ukraine. Er fällt komplett auf Putins Propaganda rein.

Donald Trump und seine erste Ehefrau Ivana bei ihrem Besuch im damaligen Leningrad (St. Petersburg) im Juli 1987.
Foto: TASS/Getty

Und Trump selbst?
Trump merkt, dass Putin ihn nur ausspielt. Das triggert seine narzisstische Seite. Er fühlt sich beleidigt, weil er von Putin vorgeführt wird. Das kann auch in unerwartete Richtungen umschlagen. Trump könnte sich sagen: «Wenn dieser kleine Putin glaubt, er könne hier den grossen mächtigen Mann irgendwie düpieren, dann gibt es jetzt 500 Prozent Strafzoll auf jeden, der russisches Öl kauft.» Für Putin wäre das eine Katastrophe.

Was beeindruckt Trump an Putin derart, dass er ihn nicht längst hart konfrontiert?
Eine extreme Theorie behauptet, Trump sei ein russischer Agent mit dem Decknamen Krasnov, angeworben bei seiner Moskau-Reise 1987, während der der russische Geheimdienst KGB belastendes Kompromat gegen ihn gesammelt und ihn unter Druck gesetzt habe. Nachprüfen lässt sich das nicht. Ich glaube eher, dass der Narzisst Trump fasziniert ist vom Personenkult rund um Putin. Trumps narzisstische Züge zeigen sich jetzt viel deutlicher als in seiner ersten Amtszeit. Vielleicht auch deshalb, weil er jetzt 78 Jahre alt ist und realisiert, dass das jetzt die letzte Chance ist, als kompromissloser Deal-Maker in die Geschichte einzugehen.

Am 30. Mai erscheint Marcus Keupps neues Buch «Spurwechsel – die Welt nach Russlands Krieg» im Quadriga Verlag.

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