Darum gehts
Kurz nach 6.00 Uhr beginnt der Run auf die besten Plätze auf dem Petersplatz. Tausende Menschen haben darauf gewartet, die Ersten zu sein, ganz vorne zu sitzen, wenn vier Stunden später die Abdankungsfeier für Papst Franziskus (†88) beginnt.
Ein gewaltiges Spektakel mit 250'000 Gästen auf dem Platz in den Strassen rund um den Vatikan. Und das für einen Mann, der die Bescheidenheit und Demut schätze. Ist das alles im Sinne von Franziskus?
Fergal Devlin (57) aus Irland hat es mit seiner Frau in die fünfte Reihe auf dem Petersplatz geschafft. Sitzplätze! Mit bester Sicht auf die Zeremonie. «Wir fühlen uns gesegnet, die Plätze haben wir wegen unseres Glaubens bekommen», sagt er. Vielleicht aber auch ganz profan, weil die beiden den Wecker noch etwas früher als alle anderen gestellt haben.
Je näher der Beginn der Trauerfeierlichkeiten rückt, desto mehr Menschen strömen in Richtung Petersplatz. Es ist ein buntes Treiben, im wahrsten Sinne des Wortes. Schwarze Trauerkleidung findet sich bei den Gästen eher selten. Farben, passend zu den frühsommerlichen Temperaturen, dominieren das Strassenbild. Einige scheinen sich bei der Kleiderwahl etwas vergriffen zu haben. Manche Outfits würden besser in einen Nachtclub oder auf einen Sportplatz denn auf eine Beerdigung passen. Dass in den Strassen Luftballons mit dem Konterfei des Papstes verkauft werden, macht die Sache nicht besser. Irgendwie fühlt sich alles nach Party und so gar nicht wie eine würdevolle Abdankungsfeier an.
Trauer um den verstorbenen Papst strahlt auch Arthur (31) aus Genf nicht wirklich aus. Er ist am Freitagabend in der Schweiz losgefahren, nun schwingt er eine Schweizer Fahne auf dem Petersplatz. «Das ist ein aussergewöhnliches Erlebnis – eine Papst-Beerdigung kannst du nur ein- oder zweimal im Leben miterleben», sagt er. «Toll, dass so viele unterschiedliche Menschen aus den verschiedensten Ländern hierhin gereist sind.» Die Fahne hat er dabei, damit man ihn in der Menge sehen kann, erklärt der junge Mann.
Man fragt sich, ob dem Papst, der immer grossen Wert auf Demut und Schlichtheit gelegt hat, dieses Spektakel gefallen hätte. Immerhin hatte Franziskus vor seinem Tod verfügt, dass er ohne Prunk in der Basilika Santa Maria Maggiore in einem einfachen Holzsarg beigesetzt wird. Mit der Wahl seiner letzten Ruhestätte hatte Franziskus ein klares Zeichen für Demut und Einfachheit gesetzt. Die Massen, das massive Sicherheitsaufgebot, Grossbildschirme, Reihen von mobilen Toiletten, erscheinen da wie ein grosser Widerspruch.
Trump, Selenski, Keller-Sutter
Natürlich lassen es sich auch viele Staatschefs nicht nehmen, zur Beerdigung des Papstes nach Rom zu reisen. Der Abschied von Franziskus vereint die Welt. US-Präsident Donald Trump (78) erscheint mit Ehefrau Melania (55). Mit dabei sind auch der französische Präsident Emmanuel Macron (47) und etwas überraschend der ukrainische Präsident Wolodimir Selenski (47). Zunächst hatte es geheissen, der Ukrainer werde wegen der heftigen Angriffe in seinem Land nicht teilnehmen können. Selenski hatte sogar auf sein allgegenwärtiges Militärhemd verzichtet, er trägt einen schwarzen Pullover. Donald Trump hingegen verzichtet auf einen schwarzen Anzug, der Amerikaner erscheint in Blau.
Sicher hätte der Papst an einer kurzen, aber für die Welt möglicherweise wichtigen Begegnung Freude gehabt. Am Rande der Trauerfeier treffen Trump und Selenski aufeinander. Denn die Beisetzung ist auch grosse Politik. Der US-Präsident und der ukrainische Staatschef sitzen im Vatikan zu einem 15-minütigen Gespräch zusammen. Die Bilder davon gehen um die Welt: die beiden auf rotgepolsterten Stühlen in einer Halle voller Marmor. Sie stecken die Köpfe zusammen, keine Berater, keine Übersetzer. Das Weisse Haus bezeichnet das Treffen im Nachgang als «sehr produktiv». Es war das erste Treffen der beiden Staatsmänner nach einem Eklat im Weissen Haus Ende Februar. Die Hoffnung auf Frieden in der Ukraine wäre ganz im Sinne von Franziskus.
Auch Selenski spricht danach von einem «guten Treffen». Man habe viel unter vier Augen besprochen. Er äussert die Hoffnung, dass es bei den laufenden Verhandlungen um eine Beendigung des russischen Angriffskrieges gegen die Ukraine Ergebnisse geben werde. Nötig sei ein vollständiger und bedingungsloser Waffenstillstand, um das Leben der Menschen zu retten.
Für die Schweiz nimmt Bundespräsidentin Karin Keller-Sutter (61) an den Feierlichkeiten teil. Sie erklärt: «Ich habe Papst Franziskus gewürdigt, der für Millionen von Menschen eine Quelle der Inspiration und des Trostes war.» Sie sei beeindruckt, wie viele Gläubige auf den Strassen und auf dem Petersplatz waren. Die Schweiz gedenke mit aller Welt «eines Lebens im Dienst der anderen», so Keller-Sutter.
Am Rande der Zeremonie sprach die Bundespräsidentin kurz mit US-Präsident Donald Trump, EU-Kommissionschefin Ursula von der Leyen, dem französischen Präsidenten Emmanuel Macron und seinem argentinischen Amtskollegen Javier Milei. «Mit Präsident Trump habe ich erst kürzlich telefoniert, das Gespräch war sehr freundschaftlich», erklärte Keller-Sutter.
Die Schweizer Bischofskonferenz wird vertreten vom Bischof von Sitten, Jean-Maria Lovey (74). «Es war eine sehr beeindruckende Zeremonie, die mich tief bewegt hat. Ein würdiger Abschied von Papst Franziskus», sagt er zu Blick.
Unermüdlich für die Schwachen und gegen Krieg
In der Predigt wird des Lebens und Wirkens von Franziskus gedacht. «Er hat die Herzen berührt», sagte Kardinal Giovanni Battista Re, der das Requiem auf dem Petersplatz leitet. «Unzählig sind seine Gesten und Ermahnungen zugunsten von Flüchtlingen und Vertriebenen. Und auch in seinem Einsatz für die Armen war er unermüdlich.» Kardinal Re erinnert auch daran, dass Franziskus sich immer gegen den Krieg eingesetzt habe. «Angesichts der vielen Kriege, die in diesen Jahren wüten, mit ihren unmenschlichen Gräueln, mit ihren unzähligen Toten und ihrer unermesslichen Zerstörung, hat Papst Franziskus unaufhörlich seine Stimme erhoben, um Frieden zu erbitten und zur Vernunft aufzurufen.»
Nach zwei Stunden ist die Trauerfeier für Papst Franziskus zu Ende. Der Sarg mit dem Pontifex wird von dem grossen Altar im Freien wieder zurück in den Petersdom getragen. Zuvor aber richten die Träger den Sarg auf dem Petersplatz noch kurz am Kopfende leicht auf. Nach der kirchlichen Tradition kann der Papst so noch einmal auf Rom blicken. Die 250'000 Menschen applaudieren.
«Ich glaube, es hätte ihm gefallen»
Mit dem Papamobil wird Franziskus' Sarg dann durch die Strassen Roms gefahren, vorbei am Kolosseum. Abertausende Menschen stehen Spalier, winken dem Papst ein letztes Mal zu. Anschliessend wird der Sarg in die Basilika Santa Maria Maggiore getragen. Hier soll Franziskus am Nachmittag unter Ausschluss der Öffentlichkeit beigesetzt werden. Es ist das erste Mal seit 120 Jahren, dass ein Papst nicht im Petersdom beerdigt wird.
Es bleibt die Frage, wie Franziskus all diesen Trubel anlässlich seines Todes gesehen hätte. Bischof Jean-Marie Lovey sagt: «Ich glaube, es hätte ihm gefallen.» Natürlich seinen es viele Menschen gewesen, doch der Geist, der sie nach Rom gebracht habe, sei der von Franziskus und seinem Wirken gewesen, so der Sittener Bischof. «Gemeinschaft, Friede und füreinander da sein – darum geht es heute.»