«Menschen um uns herum starben»
Junger Offizier verlässt Russen-Armee – jetzt packt er aus

Er hatte die Nase voll vom Krieg: Ein junger russischer Offizier ging zu seinem Kommandanten und unterschrieb seine Demission. Jetzt packt er bei CNN aus – und erzählt von den Strapazen: «Wir waren schmutzig und müde. Die Menschen um uns herum starben.»
Publiziert: 22.05.2022 um 17:26 Uhr
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Aktualisiert: 23.05.2022 um 07:49 Uhr
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Einige Russen befürworten den Krieg in der Ukraine. Andere sind dagegen. Im Bild: Russische Kriegs-Befürworter in Krasnodar.
Foto: IMAGO/SNA

Drei Monate dauert der Ukraine-Krieg jetzt schon an. Und nicht alle russischen Streitkräfte befürworten die Invasion. Einer von ihnen ist ein Soldat, der jetzt bei CNN auspackt. Der junge Offizier fühlt sich schuldig. Aus Angst bleibt er anonym.

Denn der Mann wagte einen mutigen und höchst riskanten Schritt: Er verliess die Russen-Armee. Gegenüber dem Nachrichtensender sagt er: «Wir waren schmutzig und müde. Die Menschen um uns herum starben. Ich wollte mich nicht so fühlen, als wäre ich ein Teil davon. Aber ich war ein Teil davon.»

Irgendwann hatte der junge Offizier genug davon, zu kämpfen. Er habe das Gespräch mit seinem Kommandanten gesucht und gesagt, er quittiere seinen Dienst, erzählt er dem US-Sender. Zunächst stellt sich der Kommandeur quer. Abhauen sei nicht möglich.

Handy «ohne Erklärung» abgeben müssen

Doch der junge Mann gibt nicht auf. Schliesslich unterzeichnet er seine Demission – trotz Drohungen des Vorgesetzten. «Er sagte mir, es könnte ein Strafverfahren geben. Eine solche Demission sei Verrat», so der anonyme Offizier weiter zu «CNN».

Angefangen hatte alles im Februar. Im Westen Russlands werden die Truppen zusammengezogen. Der Krieg ist da noch nicht im Gange. Am 22. Februar wird dem jungen Offizier das Handy entzogen, während er in Krasnodar stationiert ist. Auch die Kollegen müssen das Mobiltelefon abgeben. Dies sei «ohne Erklärung» geschehen.

Andere gehen – junger Offizier bleibt

Der Mann wird anschliessend mit seinen Mitstreitern auf die Krim verlegt. Doch der Offizier ahnt noch immer nichts Böses: «Um ehrlich zu sein, dachte ich, dass wir nicht in die Ukraine gehen würden. Ich hätte nicht gedacht, dass es überhaupt so weit kommen würde.»

Am 24. Februar startet Russland-Machthaber Putin dann den Krieg. Schon bald betreten der anonyme Soldat und seine Kumpanen ukrainischen Boden. Einige Kollegen haben da schon die Nase voll: «Sie schrieben einen Brief und gingen. Ich weiss nicht, was mit ihnen geschah. Ich blieb. Ich weiss nicht, warum.»

Auf dem Weg nach Cherson trifft der Soldat auf Ukrainer. «Als wir die Einheimischen sahen, waren wir angespannt. Einige von ihnen versteckten Waffen unter ihrer Kleidung. Als sie sich uns näherten, feuerten sie.»

«Bin froh, dass ich wieder zu Hause bin»

Später wird der junge Offizier von der Front abgezogen. «Wir hatten ein Radio und konnten Nachrichten hören.» Dadurch erfährt der Mann vom Ausmass der Invasion. Davon, «dass in Russland Geschäfte geschlossen werden und die Wirtschaft zusammenbricht.» Er sagt klar: «Ich fühlte mich deswegen schuldig. Aber ich fühlte mich noch schuldiger, weil wir in die Ukraine gekommen sind.»

Jetzt ist der junge Offizier wieder bei seiner Familie. Was nun auf ihn zukomme, wisse er nicht. Aber: «Ich bin froh, dass ich wieder zu Hause bin.» (nl)


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