Es dauerte fast 24 Stunden, dann brach Wladimir Putin (70) sein Schweigen. Während der Flugzeugabsturz und Tod von Wagner-Chef Jewgeni Prigoschin (†62) weltweit für Aufsehen sorgten, sagte der russische Präsident erst mal nichts. Der Kremlchef war kurz nach Bekanntwerden des Absturzes bei einem Konzert zu den Feierlichkeiten des 80. Jahrestags der Schlacht von Kursk aufgetaucht. Erst am Donnerstagabend wandte sich Putin doch noch mit einer Rede an die Welt. Nur: Den Tod von Prigoschin bestätigte er nur indirekt.
Er sprach «den Familien aller Opfer» sein Beileid aus. Zugleich bezeichnete er Prigoschin als einen «Mann mit einem komplizierten Schicksal, der in seinem Leben schwere Fehler begangen hat, aber die notwendigen Ergebnisse erzielte». Die beim Flugzeugabsturz vermutlich gestorbenen Mitglieder der Söldnergruppe Wagner hätten einen «bedeutenden Beitrag» zu der seit Februar 2022 laufenden Militäroffensive in der Ukraine geleistet. Die Ermittlungen zum tödlichen Absturz des Flugzeugs würden «bis zum Ende» geführt.
«Wir werden sehen, was die Ermittler in naher Zukunft sagen werden. Die Untersuchung ist im Gange, eine technische und genetische Untersuchung», sagte Putin weiter. Dies werde «einige Zeit» in Anspruch nehmen. Prigoschin, den Putin eigenen Angaben zufolge «seit Anfang der 1990er-Jahre kannte», sei am Tag des Flugzeugabsturzes aus «Afrika zurückgekehrt», sagte der Kreml-Chef weiter.
Das Flugzeug war am Mittwochabend in der Region Twer nahe dem Ort Kuschenkino abgestürzt. Nach Angaben des Katastrophenschutzministeriums überlebte keiner der zehn Insassen. Die russische Luftfahrtbehörde Rosawiatsija bestätigte zeitgleich, dass sich Prigoschin an Bord des Flugzeugs auf dem Weg von Moskau nach St. Petersburg befunden habe. Die Behörden gaben den Tod des Wagner-Chefs jedoch nicht formell bekannt, die Leichen seien noch nicht identifiziert. Unter den Toten ist auch Prigoschins rechte Hand, Dmitri Utkin.
Das für schwere Straftaten zuständige russische Untersuchungskomitee leitete wegen Verstosses gegen die Sicherheitsvorschriften im Luftverkehr Ermittlungen ein. Seitdem äusserten sich die Ermittler jedoch nicht; es gibt Spekulationen um ein mögliches Attentat.
Der ukrainische Präsident Wolodimir Selenski (45) wies eine Beteiligung der Ukraine von sich. «Wir haben mit dieser Situation nichts zu tun, das ist sicher», sagte Selenski am Donnerstag und ergänzte offenkundig mit Blick auf Putin: «Jeder weiss, wen das betrifft.»
«Es gibt ein Gericht in Den Haag, es gibt ein Gericht Gottes», sagte Selenski. «Aber Russland hat ein eigenes Gericht – Präsident Putin.»
Wagner-Chef hatte einen «eisernen Charakter»
In Washington sagte Pentagon-Sprecher Pat Ryder indes, das US-Militär habe «keine Informationen, die darauf hindeuten, dass eine Boden-Luft-Rakete zum Absturz geführt hat». Zwar wisse man nicht, was den Absturz verursacht habe. Doch «nach unserer Einschätzung wurde er wahrscheinlich getötet», erklärte Ryder.
Der tschetschenische Machthaber und Putin-Verbündete Ramsan Kadyrow (46) würdigte Prigoschins «eisernen Charakter» im Onlinedienst Telegram und bezeichnete dessen Tod als «einen grossen Verlust für den gesamten Staat». Allerdings habe der Wagner-Chef jüngst «entweder nicht gesehen oder wollte nicht sehen, was im Lande vor sich geht».
Bis zu einer kurzzeitigen Rebellion im Juni vor zwei Monaten gegen die russische Armeeführung hatte die Wagner-Gruppe eine grosse Rolle für die russische Offensive in der Ukraine gespielt. Zugleich trat Prigoschins Konflikt mit den russischen Militärspitzen immer offener zutage. Am 23. Juni besetzten Wagner-Söldner dann militärische Einrichtungen im Süden Russlands und marschierten anschliessend in Richtung Moskau. Den Aufstand blies Prigoschin zwar schon nach einem Tag wieder ab – mit der kurzzeitigen Rebellion stellte er aber auch die Autorität von Putin infrage. (AFP/jmh)