Kunstsammler und China-Kenner Uli Sigg (74) ist zurück in Peking
«Präsident Xi ist der grosse Gewinner der Krise»

Kurz vor der US-Wahl reiste Uli Sigg nach China. Die Einreise war zwar kompliziert, doch nun rät ihm selbst seine Frau: Bleib lieber da!
Publiziert: 04.12.2020 um 20:54 Uhr
|
Aktualisiert: 05.12.2020 um 10:17 Uhr
1/7
Privatsphäre oder Corona-Freiheit? Uli Sigg erlebt das Corona-Regime in China durchaus positiv.
Foto: Thomas Meier
Fabienne Kinzelmann

In Sachen China war Uli Sigg (74) schon immer Pionier. Schliesslich gründete der Luzerner das erste westliche Joint Venture im Reich der Mitte. Jetzt geht er wieder voran: Als einer der ersten Schweizer seit der Corona-Krise reiste er Ende Oktober nach Shanghai.

Die Einreise war für Sigg, der in China ein Star ist, komplizierter als sonst. Eine offizielle Einladung, Corona-Tests und mangelnde Flugverbindungen erschwerten die Einreise. «China will keine neuen Fälle importieren, nachdem sie selbst fast virusfrei sind», erklärt der China-Kenner und Kunstsammler gegenüber BLICK. Schliesslich hat das Corona-Ausbruchsland die Situation seit Monaten unter Kontrolle, die Zahl der täglichen Fälle liegt nach Behördenangaben im ein- bis zweistelligen Bereich.

Insgesamt drei Corona-Tests musste Sigg absolvieren

Drei Tage vor der Abreise ging es für Sigg darum zum ersten Corona-Test, den er noch in der Abflughalle vorweisen musste. Dann folgte ein Fragebogen für die chinesischen Behörden: Wo war der Einreisende vorher? Wo geht er hin? Wie erreicht man ihn? Das Ziel: immer mittels Tracking aufgespürt werden zu können. Dafür muss man über die chinesische Plattform WeChat auch einen QR-Code runterladen und das Geotracking am Handy aktivieren.

Kein Problem, findet Sigg. «Wir in Europa pflegen unseren Datenschutz in dieser Situation zu sehr. Wenn es um Leben und Tod und die Wirtschaft geht, bin ich persönlich sofort bereit, den Preis zu bezahlen, dass mich jemand trackt – auch in der Schweiz.» Privatsphäre gegen unbeschwertes Leben: Ein Tauschgeschäft, das für ihn persönlich aufgeht.

Nach Ankunft in China folgte der nächste Corona-Test. Gut vierzig Sekunden dauert der Nase- oder Rachenabstrich. «Sie nehmen es ganz gründlich», sagt Sigg – halb amüsiert, halb beeindruckt.

Danach durfte der Schweizer durch eine Schleuse und den Grenzübertritt absolvieren. Anschliessend wurde ihm ein Quarantänehotel zugewiesen – per Bus, über Hintereingänge und mit Folie abgekleidete Gänge und Aufzüge ging es so coronasicher wie möglich bis aufs Zimmer. «Und das wars dann für 14 Tage.» Zweimal am Tag musste er Fieber messen, Essen wurde ihm morgens, mittags und abends vor die Tür geliefert.

«Präsident Xi ist der grosse Krisen-Gewinner»

Langweilig wurde es ihm trotz des Eingesperrtseins nicht. «Ich habe mir extra Bücher aufs iPad geladen, bin aber gar nicht dazugekommen. Das Hotelzimmer war für zwei Wochen praktisch mein Homeoffice.» Mit Sport-Apps trainierte Sigg jeden Tag 15 bis 30 Minuten. «Erstaunlich, wie viele Übungen man auf kleinem Raum machen kann.»

Und dann war auch noch die US-Wahl, die Sigg im chinesischen Staatsfernsehen verfolgte. «Trump war ein Brandbeschleuniger für den amerikanischen Imageverfall. Deshalb konnten die chinesischen Medien bei den US-Wahlen aus meiner Sicht objektiv berichten, was läuft. Für die Chinesen hat Trump eine Lachnummer aus den USA gemacht.» Für Sigg steht fest: Trump schadet den USA enorm – und damit dem Ideal der westlichen Demokratie. «Präsident Xi ist der grosse Gewinner der Krise. Er ist quasi derjenige, der dem Virus im Vergleich zu Europa und den USA erfolgreich die Stirn geboten hat.»

Kurz vor Ende der Quarantäne musste Sigg noch einen dritten Corona-Test absolvieren. Auch der zum Glück: negativ. Exakt 14 Tage nach Abreise durfte er raus – und ging erst mal über die Strasse zu Starbucks, um sich einen doppelten Espresso zu genehmigen.

Seither geniesst er das Leben im coronafreien China, gerade ist er in Peking. «China kommt mit Wucht aus der Krise raus!», sagt Sigg. Die Shoppingcenter sind voll, die Wirtschaft läuft wieder an – nach einem Einbruch beim Bruttoinlandprodukt um 6,9 Prozent Anfang Jahr ist das BIP im zweiten (3,2 Prozent) und dritten Quartal (4,9 Prozent) gewachsen. Zum Vergleich: In der Schweiz ging es erst im dritten Quartal wieder aufwärts, wie sich die zweite Welle bis Ende Jahr auswirkt, ist noch unklar.

«Das Leben ist wie vor Corona»

Die neue Freiheit überforderte Sigg nach neun Monaten Corona-Erfahrung in der Schweiz erst mal. «Ich wusste am Anfang gar nicht, wie ich mich verhalten soll. Ob ich zum Beispiel jemandem die Hand schütteln kann.» Zu seinem Erstaunen war das Leben ganz normal. Abstandsregeln? Fehlanzeige. «Das Leben ist wie vor Corona. Bekannte sind mir sogar um den Hals gefallen.» Maske allerdings werde noch sehr viel getragen. «Die Chinesen verstehen auch nicht, warum Masken für uns so ein Diskussionsthema sind. Die glauben, wir haben einen Knall.»

Sigg hat ein Rückflugticket für Mitte Dezember. Ob er dann wirklich in die Schweiz zurückkehrt, weiss er aber noch nicht. Selbst seine Frau, eine Ärztin, habe angesichts der Corona-Situation vorgeschlagen, ruhig noch ein bisschen in China zu bleiben – da sei er schliesslich sicherer als zu Hause.

Fehler gefunden? Jetzt melden
Was sagst du dazu?