SonntagsBlick: Uli Sigg, im Januar waren Sie in China. Wie gefährlich war es vor Ort?
Uli Sigg: In Peking war die Corona-Seuche bereits Tagesgespräch, obwohl Wuhan weit weg ist. Die Leute zirkulierten wie eh und je, aber viele trugen Masken auf der Strasse.
Hatten Sie Angst vor einer Ansteckung?
Ich machte mir Sorgen, denn es ist klar: Für das Virus wäre ich mit meinen 74 Jahren eine Delikatesse.
1980 haben Sie für den Aufzügehersteller Schindler das erste Joint Venture einer westlichen Firma in China abgeschlossen. Seither gelten Sie als Freund Chinas. Sind Sie auch ein kritischer Freund?
Das bin ich schon immer gewesen. Sie nehmen mich als kritischen Freund ernster. Die Chinesen sind offen für Kritik, wenn sie denn sachkundig geäussert wird.
Die lokalen Behörden in Wuhan und in der betroffenen Region sowie schliesslich auch der Staatspräsident haben für Wochen die offene Kommunikation über die Corona-Seuche unterbunden. Verantwortet China die globale Ausbreitung der Seuche?
Die Behörden haben nicht – im Sinne der Seuchenbekämpfung – rasch kommuniziert, sondern die Sache unter dem Deckel gehalten. Das hat dann zur Ausbreitung weit über Wuhan hinaus geführt.
China kann sich also nicht aus der Verantwortung stehlen?
Ganz klar, China steht in der Verantwortung. Und es ist korrekt, wenn man China als Ursprung bezeichnet.
Kennen Sie Chinas Staatspräsidenten Xi Jinping persönlich?
Wir haben uns schon die Hand geschüttelt und ein kurzes Gespräch geführt.
Was haben Sie besprochen?
Ich wurde ihm als Mann mit der grössten Sammlung zeitgenössischer chinesischer Kunst vorgestellt. Er nahm es lächelnd zur Kenntnis.
Angesichts der sich damals anbahnenden Katastrophe in China haben Sie Hilfe organisiert.
Eine befreundete Chinesin hat mich im Namen einer Stiftung um Hilfe gebeten. Das taten auch chinesische Freunde am WEF. Es ging in erster Linie um Masken. So wie heute bei uns waren sie damals in China ein knappes Gut.
Wie verlief die Suche nach Masken?
Es war schwierig. In Davos gab es keine Chance. Eine Bekannte organisierte in Landquart drei Masken. Dann fand sie heraus, dass schon Ende Januar eine Apotheke im Zürcher Hauptbahnhof weit über 10'000 Masken verkauft hatte. Nach langer Suche konnte ich bei Schweizer Distributoren wenige 1000 Masken kaufen.
Wie haben Sie die nach China gebracht?
Da fingen die Probleme erst richtig an. Für die erste Packung von 40 Kilogramm verlangte der Kurierdienst 4000 Franken. Wegen unterschiedlicher Spezifikationen lagen die Masken lange beim chinesischen Zollamt in Peking.
Unterdessen läuft die Beschaffung von Schutzmaterial in die Gegenrichtung. Unsere Behörden haben Sie um Rat gefragt.
Für sie habe ich Quellen, also Lieferanten für grosse Lieferungen, verifizieren können. Es ist nicht ganz einfach, die Spreu vom Weizen zu trennen. Die Chinesen haben ihre Produktionskapazitäten hochgefahren und exportieren jetzt recht aggressiv medizinisches Material in die Welt.
Was heisst aggressiv?
Gewisse Lieferanten stellen sich vor, dass der Kunde einfliegt – mit Millionen Cash in den Taschen.
Tönt wild.
Es gibt auch sympathische Gesten. Täglich erhalte ich Angebote für Masken von Künstlern und hochgestellten Persönlichkeiten, die sich um mich sorgen.
Weil die Schweiz als Hochrisikoland gilt?
Eigentlich sollte ich Mitte Mai nach Hongkong reisen. Ein im Bau befindliches Museum will den sogenannten Sigg Prize verleihen. Aber jetzt hat man mir bedeutet, zu Hause zu bleiben, weil ich aus der Schweiz komme.
Sie reisten in den letzten Monaten immer knapp vor der Corona-Welle: Im Januar waren Sie in China, Ende Februar in Oberitalien. War das ein kalkuliertes Risiko?
Es war Glück. Ich reiste wegen meiner Kunstausstellung nach Turin, und auch Mailand. In Mailand berichtete man von den ersten Fällen. In Turin waren noch Tausende auf den Strassen, aber am nächsten Tag hat man innert Stunden die Ausstellung abgesagt.
Seit über drei Wochen leben Sie in Ihrem Schloss auf der Insel im Mauensee in der Nähe von Sursee.
Ich bin natürlich privilegiert und will meine Situation nicht mit Leuten vergleichen, die den Lockdown in kleinen Wohnungen durchmachen müssen.
Sie haben sich als Delikatesse für das Coronavirus bezeichnet. Galgenhumor?
Eigentlich bin ich ein Risk Taker. Zurzeit meide ich indes das Risiko.
Uli Sigg (74) ist ein intimer Kenner der chinesischen Kultur. Für den Lifthersteller Schindler öffnete er Chinas Markt. Später war er dort Schweizer Botschafter. Als Kunstmäzen baute er die wichtigste Sammlung chinesischer Gegenwartskunst auf. Sigg ist Verwaltungsrat der Ringier AG.
Uli Sigg (74) ist ein intimer Kenner der chinesischen Kultur. Für den Lifthersteller Schindler öffnete er Chinas Markt. Später war er dort Schweizer Botschafter. Als Kunstmäzen baute er die wichtigste Sammlung chinesischer Gegenwartskunst auf. Sigg ist Verwaltungsrat der Ringier AG.