Frankreich hat die Initiative für eine mögliche Friedenslösung in der Ukraine ergriffen. Nächste Woche sollen sich in Paris die Generalstabschefs von Ländern treffen, die bereit sind, Truppen in die Ukraine zu entsenden.
In einer Fernsehansprache am Mittwochabend erklärte Staatspräsident Emmanuel Macron (47), dass ein Frieden in der Ukraine «möglicherweise auch durch die Entsendung europäischer Truppen» gesichert werden müsse.
Der französische Präsident bezeichnete Russland als «Bedrohung für Frankreich und Europa» und sagte, er wolle zudem mit den europäischen Verbündeten darüber beraten, wie Europa mithilfe der nuklearen Abschreckung Frankreichs geschützt werden könne. Russlands aggressives Verhalten, so Macron, «scheint keine Grenzen zu kennen».
Nuklear- statt Nato-Schutzschild
Macron sprach sich für eine «strategische Debatte» über die atomare Abschreckung in Europa aus. Damit greift er einen Appell des künftigen deutschen Bundeskanzlers Friedrich Merz (69, CDU) auf, der im Wahlkampf angekündigt hatte, Verhandlungen mit Frankreich und Grossbritannien über die nukleare Abschreckung führen zu wollen.
Der designierte Bundeskanzler sagte jetzt in einem Interview mit der «Frankfurter Allgemeinen Zeitung», er wolle in den Koalitionsverhandlungen und mit den Partnern in EU und Nato diskutieren, ob es eine nukleare Teilhabe mit Frankreich und Grossbritannien geben könne. Sein Parteikollege Jens Spahn (44) forderte bereits zuvor: «Wir müssen über einen europäischen Nuklearschirm reden.»
Eine deutsche Atombombe?
In Deutschland ist zudem eine Debatte entbrannt, ob es mit dem Rückzug Amerikas gar eine eigene Atombombe brauche. Technisch machbar, fehlte Deutschland bislang der politische Wille. Ein gemeinsames Schutzsystem mit Franzosen und Briten scheint machbarer.
Macron betonte, dass Frankreichs nukleare Abschreckung seit 1964 ausdrücklich eine Rolle bei der Wahrung des Friedens und der Sicherheit in Europa gespielt habe. Angesichts von Merz' Aufruf habe er beschlossen, die Debatte über den Schutz europäischer Verbündeter durch die französische Abschreckung zu eröffnen.
Die Entscheidungshoheit über die französischen Atomwaffen bleibe jedoch allein bei Frankreich: «Was auch immer geschieht, die Entscheidung lag und liegt immer in den Händen des Präsidenten der Republik, des Oberbefehlshabers der Streitkräfte.»
«Wahnsinn, bloss Zuschauer zu bleiben»
Mit Blick auf die anscheinende Annäherung zwischen den USA und Russland seit dem Amtsantritt von US-Präsident Donald Trump (78) sprach Macron von einer «neuen Ära» und warnte: «Im Angesicht dieser Welt der Gefahren wäre es Wahnsinn, bloss Zuschauer zu bleiben.»
Was eine Ausweitung des französischen nuklearen Schutzschirms auf Alliierte konkret bedeutet, liess Macron offen – etwa, ob französische Atomwaffen in Partnerländern wie Deutschland stationiert werden könnten oder ob sich diese finanziell beteiligen müssten.
Die Rede erfolgte am Vorabend eines EU-Krisengipfels in Brüssel, bei dem es neben der Unterstützung der Ukraine auch um die europäische Verteidigungsbereitschaft vor dem Hintergrund der Kontakte zwischen den USA und dem russischen Präsidenten Wladimir Putin (72) geht.
Wiederaufrüstung Europas
Auf dem Tisch liegt ein Plan zur Wiederaufrüstung Europas im Umfang von bis zu 800 Milliarden Euro, vorgeschlagen von EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen (66). Macrons Vorstoss, verbündete Länder unter den Schutz der französischen Atomwaffen zu stellen, gewinnt angesichts des Ukraine-Kriegs und der Neuausrichtung in der US-Verteidigungspolitik an Aktualität.
Bereits 2020 hatte Macron in einer Grundsatzrede eine Ausweitung des nuklearen Schutzschirms auf europäische Partnerländer angeregt: «Lassen Sie uns klarstellen, dass die vitalen Interessen Frankreichs nunmehr eine europäische Dimension haben. In diesem Sinne wünsche ich mir, dass sich mit unseren europäischen Partnern, die dazu bereit sind, ein strategischer Dialog über die Rolle der französischen nuklearen Abschreckung in unserer kollektiven Sicherheit entwickelt.»
Abschreckendes Beispiel Ukraine
Neben Frankreich verfügt in Europa nur Grossbritannien über eigene Atomwaffen.
Die Ukraine scheint Macron bei seinen Erwägungen eine besonders abschreckende Fallstudie zu bieten. Russland konnte das Land auch deshalb angreifen, weil es nicht mehr über eigene Atomwaffen verfügt. Die Ukraine hat diese nach der Unterzeichnung des Budapester Memorandums im Jahr 1994 an Moskau abgegeben.
Keine EU-Kampftruppen gegen Russland
Zu europäischen Truppen in der Ukraine sagte Macron, sie würden dort «nicht kämpfen, sie werden nicht an der Front kämpfen, aber sie werden da sein, sobald ein Friedensabkommen unterzeichnet ist, um zu garantieren, dass es vollständig eingehalten wird».