Im Schatten der Kriege in der Ukraine und in Nahost schmiedet Nordkorea-Diktator Kim Jong Un (40) offenbar düstere Pläne. Um, laut eigenen Angaben, die atomare Schlagkraft zu testen, hat er seit Jahresbeginn schon vier Marschflugkörper abgefeuert.
Am Donnerstag folgte ein politischer Schlag: Die Oberste Volksversammlung hat entschieden, die wirtschaftliche Zusammenarbeit mit Südkorea zu beenden. Damit ist auch die letzte Bande zwischen den beiden Staaten zerrissen. Dafür richtet sich der Diktator stärker in Richtung Russland aus: Pjöngjang hilft Moskau mit Raketen- und Munitionslieferungen für den Angriffskrieg in der Ukraine, umgekehrt bekommt Nordkorea Unterstützung in Technologie und beim Bau von Satelliten.
In Südkorea geht die Angst vor einem grossen Krieg um. Und man rätselt: Was hat Kim Jong Un vor? Blick schätzt die Lage ein.
Das bedeutet das Ende der wirtschaftlichen Zusammenarbeit
Die Auflösung des Vertrags ist das Ende des Versuchs, die beiden Länder Süd- und Nordkorea wiederzuvereinigen. Am 15. Januar hatte Kim Jong Un bekannt gegeben, dass er keine Wiedervereinigung mehr anstrebe und sein Land eigenständig bleiben wolle. Südkorea bezeichnete er als «unveränderlichen Hauptfeind».
Das Wort «Wiedervereinigung» wurde aus der Verfassung gestrichen, auch der Wiedervereinigungsbogen in Pjöngjang wurde zerstört. Bisher hatte man die Teilung Koreas von 1945 immer als vorübergehenden Zustand betrachtet.
Annulliert wurden diese Woche das Gesetz von 2005 über innerkoreanische wirtschaftliche Beziehungen sowie das Gesetz von 2011 über die Sonderzone am Mount Kumgang, das die Tourismus-Investitionen südkoreanischer und anderer ausländischer Unternehmen in diesem Gebiet regelte.
Während mehrerer Jahre lieferte der Süden vor allem Düngemittel in den Norden, um den Hunger zu lindern. 2018 kam es sogar zu einem innerkoreanischen Gipfel. Seit Nordkorea Raketentests durchführt, haben sich die Beziehungen wieder massiv verschlechtert.
So überrascht reagiert Südkorea
Südkoreas Präsident Yoon Suk-yeol (63) bezeichnete in einem Fernsehinterview den Wandel in Nordkoreas innerkoreanischer Politik als «eine aussergewöhnliche Veränderung». Es sei schwer, zu verstehen, was dahinterstecke. Obschon Yoon eine harte Linie gegenüber Nordkorea vertritt, sei er nach wie vor bereit, auf den Norden zuzugehen. Selbst ein Gipfeltreffen mit Kim Jong Un sei möglich, wenn dies der Wirtschaft Nordkoreas helfen würde.
Ein Beamter des Wiedervereinigungsministeriums sagte in südkoreanischen Medien, dass es für sein Land keine Aufhebung der Vereinbarungen bedeute, da es sich um eine einseitige Entscheidung Nordkoreas handle. «Das Ministerium ist jedoch der Ansicht, dass die jüngste Entscheidung Nordkoreas das Land nur noch weiter isolieren wird.»
So gross ist die Gefahr eines neuen Krieges
Die beiden Nordkorea- und Atomforscher Robert L. Carlin und Siegfried S. Hecker schliessen in einem Beitrag für die Washingtoner Denkfabrik Stimson Center einen Krieg nicht aus. Denn nach dem Scheitern des zweiten Gipfels mit US-Präsident Donald Trump 2019 und dem damit verbundenen Gesichtsverlust könnte sich Kim Jong Un zu einem Krieg gezwungen fühlen, da das Ende der Sanktionen nicht auf friedlichem Weg erreichbar sei.
Die beiden schreiben: «Die Lage auf der koreanischen Halbinsel ist so gefährlich wie seit Anfang Juni 1950 nicht mehr.» Im Juni 1950 begann der Koreakrieg, der drei Jahre später mit einem Waffenstillstand, aber ohne Friedensvertrag endete. Nach Schätzungen kamen über vier Millionen Menschen ums Leben.
Der Zeitpunkt für einen Überraschungsangriff wäre ideal: Der Westen ist mit den Kriegen in der Ukraine und in Nahost abgelenkt und beschäftigt. Zudem hat Nordkorea in Russland einen Verbündeten gefunden und kommt mit der Aufrüstung gut voran. Auf der andern Seite ist es strategisch nicht sinnvoll, Raketen und Munition an Russland zu verkaufen, wenn man selber einen Krieg anzetteln will.
Als gefährlich eingestuft wird ein Missverständnis, also wenn ein Manöver schiefläuft und die andere Partei dies als Kriegserklärung versteht.
So weit ist Nordkorea mit der Atombombe
Laut der Internationalen Atomenergiebehörde IAEA hat Nordkorea vor kurzem einen zweiten Atomreaktor in Betrieb genommen. Ende Dezember nannte IAEA-Direktor Rafael Grossi (63) dies einen «Grund zur Sorge».
Offenbar verfügt Nordkorea bereits über Atombomben. Schätzungen reichen von wenigen Dutzend bis über 100 Nuklearsprengköpfe. In der Frankfurter Rundschau vermutet Ramon Pacheco Pardo vom King’s College London, dass Pjöngjang daran arbeite, diese Sprengköpfe zu verkleinern, damit sie auf Interkontinentalraketen montiert werden können. Möglich sei aber auch, dass Kim Jong Un eine noch grössere Atombombe bauen und testen wolle.
Mit seinem Atomprogramm geht es Kim laut Pardo vor allem um eines: «Ein Test würde der Weltgemeinschaft noch einmal verdeutlichen, dass Nordkorea eine Atommacht ist und dass daran nicht mehr gerüttelt werden kann.»