Zu viele Fronten
Weltmacht USA am Limit – Kim Jong Un nutzt das aus

Bündnispartner können die Vereinigten Staaten in weitere Kriege verwickeln. Europa fürchtet einen russischen Angriff. Gaza und Jemen provozieren einen Flächenbrand mit dem Iran. Nordkorea bedroht Südkorea, China und Taiwan. Wie viele Fronten können die USA verkraften?
Publiziert: 24.01.2024 um 01:10 Uhr
|
Aktualisiert: 24.01.2024 um 10:21 Uhr
Den USA drohen überall Konflikte. Denn die Bündnispartner rechnen mit der Unterstützung des Weltpolizisten. Nur: Wie viele Fronten können die USA verkraften?
Foto: AFP
Blick_Portrait_1329.JPG
Myrte MüllerAussenreporterin News

Das Säbelrasseln am 38. Breitengrad trifft einen weiteren Nerv der Vereinigten Staaten. Nordkoreas Diktator Kim Jong Un (40) antwortet auf das laufende Manöver der Seestreitkräfte Südkoreas, der USA und Japans mit dem Abbruch jedes Dialogs mit Südkorea. Der Herrscher erklärt seinen direkten Nachbarn zum «Feind Nummer eins». Er droht, eine atomare Unterwasserbombe zu zünden, um die südliche Halbinsel mit einem radioaktiven Tsunami zu überfluten. Es ist nur die jüngste Eskalation bei US-Bündnispartnern. Dem Weltpolizisten könnten die Konflikte seiner Verbündeten bald über den Kopf wachsen.

Seit den 50er-Jahren sei die Situation zwischen den beiden Korea-Staaten noch nie so explosiv wie heute, sagen der Ex-CIA-Analyst Robert Carlin und US-Nuklearwissenschaftler Siegfried Hecker in US-Medien. Die beiden Nordkorea-Experten sind überzeugt: Kim Jong Un bereitet einen Krieg gegen den Bruderstaat vor.

1/11
Joe Biden bei einer Rede am 22. Januar 2024. Der US-Präsident kämpft an verschiedenen politischen Fronten im In- und Ausland. Er tritt erneut als Präsidentschaftskandidat der Demokraten an.
Foto: imago/UPI Photo

Ein Konflikt jagt den nächsten

Es wäre noch ein Krieg, in den die USA hineingezogen werden, weil sie zu ihren Bündnispartnern stehen. In diesem Fall Südkorea. Nach dem schon zwei Jahre dauernden Ukraine-Krieg, in den die Biden-Regierung Milliarden US-Dollar an Rüstungshilfe pumpte, folgte die Schlacht in Gaza. Die USA unterstützen Israel, fürchten aber einen Flächenbrand mit dem Iran.

Gezündelt wird bereits im Roten Meer. Im Golf von Aden greifen proiranische Huthi-Rebellen internationale Frachter an. Sie wollen, so ihre Mission, einen Waffenstillstand in Gaza erzwingen. Und wieder sind es Amerikaner, die einschreiten. Zusammen mit den Briten bombardieren sie seit über einer Woche militärische Stellungen der Milizen in Jemen.

Trump sorgte weltweit für Unsicherheit

Und auch in Taiwan steigt die Nervosität. Chinas allmächtiger Präsident Xi Jinping flirtet mit der Invasion des Inselstaates. Taiwan hat gerade mit Lai Ching-te (64) von der Demokratisch-Progressiven Partei einen erklärten China-Gegner zum Präsidenten gewählt. Das könnte Peking provozieren. Ein Angriff Chinas würde auch US-Soldaten auf den Plan rufen. Eine Unterstützung Taiwans hat Joe Biden (81) immer wieder betont.

Doch kann der US-Präsident seine Versprechen halten? Wie sehr schwächen die vielen Fronten die Stabilität der USA? Sicherheitsexperte David Sirakov (47) sieht die Gefahr in erster Linie in der innenpolitischen Polarisierung. «Historisch herrschte seit dem Weltkrieg aussenpolitische Einigkeit zwischen Republikanern und Demokraten. Dieser Konsens erlebte mit der Wahl Donald Trumps einen tiefen Riss», sagt der Direktor an der Atlantischen Akademie in Kaiserslautern im Blick-Gespräch. Multilaterale Abkommen, die jahrelang galten, wurden kurzerhand gebrochen, militärische Allianzen wie die Nato und ihre Finanzierung infrage gestellt. Die Haltung Trumps sei mittlerweile auch die der republikanischen Partei.

Trump hat Diktatoren wie Putin und Kim Jong Un auf die Schulter geklopft, den Imperialismus wieder salonfähig gemacht. Das habe zu internationalem Vertrauensverlust geführt und Russland ermutigt, die Ukraine anzugreifen, sagt Sirakov. Joe Biden habe zwar Vertrauen zurückgewonnen, doch die Aussicht, dass Donald Trump wieder zum US-Präsidenten gewählt werden könnte, sorgt für grosse Unsicherheit und Ratlosigkeit.

«Die USA können nicht allen Verbündeten gleichzeitig nachkommen»

Die USA haben 50 Verbündete weltweit, mit denen auch Sicherheitsabkommen bestehen. Die Amerikaner verfügen über rund 800 Militärbasen in Europa, Asien, Afrika und Ozeanien. Die Kosten belaufen sich auf über 150 Milliarden US-Dollar im Jahr. Ein Argument der nationalistischen Trumpisten gegen die Rolle der USA als Weltpolizist.

Der ehemalige Leiter des International Institute for Strategic Studies-Asia, James Crabtree, vergleicht die globale Verantwortung der USA mit einer Grossbank. «Es versteht sich von selbst, dass die Vereinigten Staaten nicht allen Verbündeten gleichzeitig nachkommen können», schreibt der Experte im Magazin «Foreign Policy». Es sei wie bei einer Bank, die auch nicht alle Einlagen auf einmal zurückzahlen könne. Es gelte, Vertrauen zu garantieren, um einen geopolitischen Bankensturm zu vermeiden.

Die Vereinigten Staaten würden Verbündete wie Europa, Australien und Japan auffordern, mehr zu tun, um zur kollektiven Abschreckung und Sicherheit beizutragen, so Crabtree weiter. So spreche der nationale Sicherheitsberater der USA, Jake Sullivan, von der Entwicklung eines «sich selbst verstärkenden Gitterwerks der Zusammenarbeit», in dem man auch untereinander kooperiert. Die neue Botschaft der USA: Zusammen sind wir stark – und schrecken so Gegner ab.

Fehler gefunden? Jetzt melden

Was sagst du dazu?

Liebe Leserin, Lieber Leser
Der Kommentarbereich von Blick+-Artikeln ist unseren Nutzern mit Abo vorbehalten. Melde dich bitte an, falls du ein Abo hast. Noch kein Blick+-Abo? Finde unsere Angebote hier:
Hast du bereits ein Abo?